Aufräumarbeiten und die Suche nach Überlebenden und Todesopfern gingen auch am dritten Tag nach dem Beben in den Dörfern in Mittelitalien weiter. Die Kosten des Wiederaufbaus sind noch unklar.

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Regierungschef Matteo Renzi hat sich am Tag nach dem Erdbeben weit aus dem Fenster gelehnt: "Die Glaubwürdigkeit und die Ehre von uns allen werden sich daran ermessen lassen, ob wir einen echten Wiederaufbau garantieren können." Die Mitbürger in den vom Erdbeben zerstörten Orten hätten ein "moralisches Recht" darauf, dass diese Dörfer und Kleinstädte nicht nur eine Erinnerung bleiben würden, sondern eine Zukunft hätten.

Das Versprechen eines raschen Wiederaufbaus erfolgt in Italien nach jedem Erdbeben – gehalten ist es selten worden. In frischer und besonders schlechter Erinnerung ist das Beispiel von L'Aquila, dessen historisches Zentrum im April 2009 stark beschädigt worden war und wo der Wiederaufbau erst vor einem knappen Jahr ernsthaft in Angriff genommen wurde. Aber auch im sizilianischen Messina, wo im Dezember 1908 bei einem verheerenden Beben 80.000 Bewohner starben, wohnen mehr als hundert Jahre danach immer noch Vereinzelte in den damals erstellten Baracken.

Beim Erdbeben von L'Aquila mit 308 Toten hatten rund 60.000 Menschen ihr Obdach verloren – also zwanzigmal mehr als nun im nur rund 40 Kilometer entfernten neuen Erdbebengebiet. Die damalige Regierung von Silvio Berlusconi hatte auf sogenannte "New Towns" gesetzt, auf Siedlungen am Stadtrand. Tatsächlich konnten insgesamt 15.000 Erdbebenopfer schon wenige Monate nach dem Beben in ihre neuen, von der Regierung finanzierten Wohnungen ziehen.

Berlusconis "New Towns"

Das Konzept der "New Towns" war von Beginn an umstritten und gilt inzwischen als gescheitert. Zum einen, weil sich viele schwer damit taten, in die anonymen Siedlungen am Stadtrand zu ziehen. Zum anderen, weil mit dem neuen Wohnraum der Druck weg war, den effektiven Wiederaufbau in Angriff zu nehmen. Renzi und sein Infrastrukturminister Graziano Delrio wollen den Fehler nicht wiederholen und haben sich für eine Rekonstruktion der zerstörten Ortskerne ausgesprochen. Beim Wiederaufbau soll das Motto gelten, mit welchem schon nach dem Beben in Umbrien 1997 gute Erfahrungen gemacht worden sind: "Dov' era, com' era" – wo es war und wie es war.

Die Rekonstruktion ganzer historischer Ortskerne ist teuer. Den Wiederaufbau in Umbrien hat sich der Staat 13,6 Milliarden Euro kosten lassen; eine ähnliche Summe wird laut Schätzungen die Rekonstruktion von L'Aquila kosten. Der Wiederaufbau nach dem Beben im Friaul von 1976, wo zum Großteil auf Rekonstruktion gesetzt wurde, hat 18,5 Milliarden gekostet.

Gegen die Mafia

Wo in Italien viel Geld fließt, ist auch die Mafia zur Stelle. Das gilt ganz besonders dann, wenn es sich um öffentliches Geld handelt. Dies hat sich in krasser Form beim Wiederaufbau nach dem Erdbeben in Irpinia in Süditalien gezeigt, der nach heutigem Geldwert horrende 50 Milliarden Euro verschlungen hat. Aber auch nach L'Aquila hat die Mafia ihre Tentakel ausgestreckt. So hat laut Erkenntnissen der Ermittler vor allem der neapolitanische Casalesi-Clan im Erdbebengebiet eigene Baufirmen gegründet oder bestehende infiltriert, um öffentliche Bauaufträge abzugreifen. Renzi will der Gefahr begegnen, indem er beim kommenden Wiederaufbau die Vergabe von sämtlichen Aufträgen durch die nationale Antikorruptionsbehörde durchleuchten lassen will.

Noch gibt es keine Schätzungen, wie viel der Wiederaufbau nach dem jüngsten Beben kosten wird. Fest steht nur, dass er – auch ohne Unterwanderung durch die Mafia und ohne Korruption – Jahre dauern wird. Bis dann muss die Regierung eine Übergangslösung finden, und zwar schnell. "Wir befinden uns auf 800 Metern, bei uns liegen im Winter oft zwei Meter Schnee", so ein Opfer aus Accumoli, das in einem Zivilschutzzelt Unterschlupf gefunden hat. Die Zeltlösung dürfte in ein paar Monaten kaum noch helfen. (Dominik Straub aus Rom, 26.8.2016)