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Romancier Martin Mosebach (65), Büchnerpreisträger von 2007, jongliert mit den exotischen Zutaten einer Bildungsreise.

Foto: Woitas/EPA

Wien – Ein junger Finanzjongleur mit angenehmen Manieren wähnt sich krimineller Machenschaften überführt. Seine überstürzte Flucht aus Düsseldorf tritt er originellerweise durch das Fenster des Kommissariats an. Patrick Elff, ein Nachzügler der Babyboomer-Generation, entschwindet kommentarlos aus Deutschland nach Marokko.

Dort, in den Schwitzbädern der malerischen Meerstadt Mogador, lässt er sich erst einmal die Epidermis vom Leib kratzen. Mit diesem Hohelied auf die Hygiene beginnt der neue Mosebach: die Geschichte einer spirituellen Neugeburt. Der blasse Europäer tritt eine Bildungsreise an. Über sein Schicksal als reuiger Sünder soll ausgerechnet der Orient entscheiden. Diese geografisch ungesicherte Traumzone hält selbst für ärmste Schlucker die nahrhaftesten Bildungsbrocken bereit.

Hier, in einem Maghreb, den es als Weltgegend in keinem Städteführer aufzuspüren gibt, schleckt die Gischt lüstern an den baufälligen Mauern. Bettler tragen voller Stolz ihre körperlichen Handicaps zur Schau. Geheimnisvolle Frauen befragen Dämonen, indem sie Bleikugeln in siedendes Wasser tauchen.

Unser blasser Held, der vorsorglich dicke Geldbündel in seinen Anzug gesteckt hat, ist zu seinem schwülen Exil herzlich zu gratulieren. Patrick, der reine Tor, durch keinerlei Mitleid wissend, betritt ein Traumland, in dem es von appetitlich gerundeten Liebesdienerinnen nur so wimmelt.

Mogador lautet denn auch der Titel des neuen Romans von Martin Mosebach. Dieser, gestandener Katholik, bezaubert das deutsche Feuilleton seit vielen Jahren mit den überreifen, entsprechend schwer verdaulichen Früchten einer stupenden Bildung. Der Büchnerpreis war nicht zu groß für die Prätention als Großschriftsteller, natürlich nur in der Nachfolge von Heimito von Doderer.

Mosebachs Morgenlandfahrt

Mosebachs Morgenlandfahrt sollte nun keinesfalls mit dem herkömmlichen Werkzeug einer verantwortlich sich dünkenden Kritik angefasst werden. Pinzette und Kneifzange bringt der Autor hier sicherheitshalber gleich selbst mit.

Geister und Wahrsagerei sollen Patrick aus seiner Lebenskrise hinausführen. In der arg gezierten Lebenswelt dieses Taugenichts fläzt man das Gesäß auf "Sophas". Als Investmentbanker geht man nicht etwa gepflegt krachen, sondern man sieht einem altmodischen "Bankerott" entgegen.

Ängstlich hält die Mosebach-Prosa Sichtkontakt mit übergroßen Vorbildern. Die aufgeräumte Ironie Thomas Manns wird mit Nachdruck beschworen. Aus jeder Zeile fließt der kalte Schweiß der Beflissenheit. Im sympathischen Ehrgeiz, Marokkos Welt von Gestern zu beschwören und dabei möglichst geheimnisvoll zu wirken, kommt der Autor mit goldenem Füllhalter vom Hölzchen aufs Stöckchen: "Aus dem Stall, der von einer Glühbirne, die im Abendlicht schwankte, flackernd beleuchtet wurde ..." Ja, was sonst soll die arme, nackte Glühbirne denn auch anderes tun, als zu schwanken, notabene im Abendlicht?

Patrick trifft es da entschieden besser. Eben weil er ein Bankrotteur von armselig lebloser Gestalt ist, wird die Last der Geschichte mehr und mehr auf die mysteriöse Khadija abgewälzt. Diese, eine ortsgebundene Selfmade-Geschäftsfrau mit guten Beziehungen zur Geisterwelt wie auch zu den lokalen Behörden, unterhält hinter zauberischen Arkaden einen verschwiegenen Puff. Zudem verfügt sie über etwas, was Mosebach ein "übernatürliches Ahnungsvermögen" nennt.

Kindlein unterm Herzen

Doch bis Patrick merkt, was in den Wohnhöhlen des Maghreb tatsächlich gespielt wird, geht dem Roman auch schon wieder die Puste aus. Dazwischen bereist man noch die schöne Umgebung Mogadors und wird nicht ohne Ergriffenheit Zeuge der Geburt eines Kälbchens.

Patricks Traum von Essaouira, wie das frühere Mogador heute heißt, verpufft, Lufthansa sei Dank, komplett folgenlos. Die argentinischstämmige Frau erwartet ihn bereits am Flughafen. Sie trägt, zu jeder Verzeihung bereit, sein Kindlein unter dem Herzen.

Das deutsche Feuilleton zeigt sich regelmäßig ergriffen von Martin Mosebachs "klanglich-rhythmischen Ausschweifungen". Jetzt würde es statt eines gerüttelten Maßes an Pseudo-Ethnografie und Altherren-Erotik nur noch eines überzeugenden Plots bedürfen. Dann nähme man auch gestelzte Sätze wie den folgenden vielleicht kommentarlos zur Kenntnis: "Sein Schweiß war offenbar günstig komponiert ..." (Ronald Pohl, 24.8.2016)