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Scans haben gezeigt, dass die Gehirnstruktur von Transgenderpersonen schon vor einer hormonellen Behandlung eine "Mittelstellung" zwischen beiden Geschlechtern einnimmt.

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Frauen und Männer unterscheiden sich oft deutlich in Bezug auf psychische Erkrankungen. Um die Ursachen dafür zu erforschen, wurde in einem Projekt des Wissenschaftsfonds (FWF) untersucht, wie die geschlechtsangleichende Hormontherapie von Transgenderpersonen das Gehirn beeinflusst.

Um biologischen Faktoren psychischer Erkrankungen, wie Depressionen oder Angststörungen, auf den Grund zu gehen, hat ein Forscherteam der MedUni Wien untersucht, wie Hormone auf das Gehirn wirken. Dabei haben die Wissenschafter der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in enger Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik für Frauenheilkunde, der Universitätsklinik für Radiologie und Nuklearmedizin und dem Zentrum für Medizinische Physik und Biomedizinische Technik eine wesentliche Erkenntnis gewonnen, indem sie feststellten, dass sich die Geschlechtsidentität im Gehirn widerspiegelt und zwar auch bei Transgenderpersonen.

Die Studie hat international sowohl in der Fach- als auch Medienwelt ein so großes Echo hervorgerufen, "dass Forscher aus den USA, die selbst Transsexuelle sind, uns hier am Wiener AKH besuchen", so Projektleiter Rupert Lanzenberger in einer Aussendung. "In der Psychiatrie haben wir viele Erkrankungen, die jeweils bei Frauen und Männern viel häufiger sind, wie etwa Angststörungen und Depressionen bei Ersteren oder Suchterkrankungen und Autismus bei Letzteren. Wir wollten die Ursachen dieser Erkrankungen aus der Geschlechterperspektive untersuchen und haben daher ein Modell gesucht, das uns Effekte auf das Gehirn in Zusammenhang mit dem Hormonsystem zeigt."

"Mittelstellung" zwischen den Geschlechtern

Dabei hat ein Team um Lanzenberger über einen Zeitraum von fünf Jahren Transgenderpersonen untersucht, die eine Hormontherapie im Rahmen der von ihnen gewünschten Geschlechtsangleichung selbst anstreben und medizinische Hilfe benötigen. Mittels Magnetresonanztomografie (MRT) wurde bei den Probanden, wie auch bei weiblichen und männlichen Kontrollpersonen, beobachtet, was im Gehirn passiert, wenn gegengeschlechtliche Hormone über längere Zeit gegeben werden, um physiologische gegengeschlechtliche Hormonwerte im Blut zu erreichen.

"Dabei konnten wir einen Hormoneffekt auf die Sprachverarbeitung, auf Funktionen wie Risikoverhalten, auf räumliche Vorstellung und die Impulsivität, sowie auch auf die Struktur der Hirnverbindungen zwischen weiblichen und männlichen Personen nachweisen", erklärt Lanzenberger. Interessanterweise zeigten die Scans dabei auch, dass bereits vor der Behandlung mit Hormonen die Gehirnstruktur der Transgenderpersonen eine "Mittelstellung" zwischen beiden Geschlechtern einnahm.

Die Forschergruppen der MedUni Wien zeigten, dass eine Zunahme des Testosteronspiegels im Blut mit einer Abnahme des Volumens zweier für die Sprachverarbeitung zentraler Hirnregionen verbunden ist und auch deren Verbindung verändert wird. "Das legt den Schluss nahe, dass die Wirkung von Testosteron auf die Sprachverarbeitung über den Einfluss auf die Struktur der grauen und weißen Substanz der dafür zuständigen Hirnregion läuft", sagt Lanzenberger. "Wir gehen davon aus, dass manche der gefundenen Unterschiede in der weißen Substanz schon sehr früh angelegt sind, möglicherweise im Mutterleib oder vor der Pubertät. Das wäre eine biologische Information, ein Marker für Geschlechtsidentität."

Gene durch Hormone ein- und ausgeschaltet

Das Wissen, dass sich Gehirnverbindungen in ihrer Funktion durch Hormone und auch im Erwachsenenalter noch ändern können, spielt beispielsweise dann eine Rolle, wenn die sogenannte Neuroplastizität des Gehirns reduziert ist, wie das bei Depressionen vermutet wird. In einem weiteren bildgebenden Verfahren, der Positronenemissionstomografie (PET), haben die Forscher daher untersucht, wie der Nervenbotenstoff Serotonin, der als stimmungsaufhellend bekannt ist, auf Hormone reagiert. Es dürfte demnach zu einer verstärkten Wirkung durch eine höhere Konzentration der Proteine kommen, welche Serotonin transportieren.

Das Projektteam erfasst auch Daten über das Schmerzempfinden, den Geruchssinn, über Veränderungen im Verhalten oder die Lebensqualität der Probanden, um sie mit den Resultaten der Gehirnscans in Verbindung zu bringen und schließlich Geschlechtsunterschiede besser zu verstehen. "Wir schauen uns weiters auch die Genetik an, weil wir davon ausgehen, dass Hunderte Gene durch Hormone ein- und ausgeschaltet werden", sagt Lanzenberger. Sexualhormone haben einen wesentlichen Einfluss auf das (erwachsene) Gehirn, wie die Forscherteams in Wien zeigen konnten. Geschlechtsidentität ist also nicht nur ein psychologisches Phänomen, sondern vielmehr biologisch nachweisbar. (APA, 22.8.2016)