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Die Geschichte des deutschen It-Girls Gina-Lisa Lohfink hat in Deutschland eine öffentliche Debatte über die Selbstbestimmung der Frau losgetreten.

Foto: Reuters / Hannibal Hanschke

Gina-Lisa Lohfink sitzt auf einem Zahnarztsessel in einer Döblinger Dentalklinik und formt die Lippen zu einem sanften Lächeln. Sie ist nach Österreich gekommen, um sich "mal wieder die Zähne machen" zu lassen. Ihre Augen sind glasig, die Stimme ganz klar. "In dem Business wird auf alles großgezoomt, auf alles geachtet, in dem Business ist das Aussehen das Kapital", sagt das deutsche Model zu Beginn des Videobeitrags auf "krone.at".

Dann holt das Kameraobjektiv ihr Gesicht näher heran. Bekannt wurde Lohfink durch ihre Teilnahme an einem TV-Casting und mehreren Realityshows, berühmt wurde sie durch ein Gerichtsverfahren. "Mein großer Wunsch ist natürlich ein Freispruch oder eine Einstellung", beteuert sie. "Ich kämpfe nicht für mich, ich kämpfe für alle Frauen."

Vom It-Girl zur Feministin

Bis vor Kurzem war Lohfink noch eines jener Starlets, die bei Feministinnen bestenfalls Nasenrümpfen hervorrufen: wasserstoffblond, leicht bekleidet, prollig lasziv, mit jedem Fernsehauftritt wuchs die Oberweite. Inzwischen ist Gina-Lisa zur Vorreiterin der Frauenrechte aufgestiegen.

Die deutsche Familienministerin Manuela Schwesig von der SPD hat ihren Fall zum Anlass genommen, das Sexualstrafrecht verschärfen zu wollen. Sie sei "die Frau, die sich jetzt traut, was so bisher noch keine gewagt hat: Sie geht in die Offensive", schreibt Alice Schwarzer, Deutschlands bekannteste Feministin, über sie.

Einvernehmlicher Sex

In ihren Grundzügen ist die Causa schnell erklärt: Vor vier Jahren hatte Lohfink Sex mit zwei Männern, die dabei Szenen gefilmt haben. Teile der Aufnahme landeten schließlich im Internet, für die Verbreitung wurden die beiden bestraft. Lohfink vermutet allerdings, Betäubungsmittel verabreicht bekommen zu haben, und zeigte die Männer auch deshalb an.

Der Vorwurf: Vergewaltigung und sexuelle Nötigung. Die Staatsanwaltschaft befand schließlich, dass der Sex einvernehmlich war. Eine daraufhin verhängte Strafe in der Höhe von 24.000 Euro wegen falscher Verdächtigung wollte Lohfink allerdings nicht akzeptieren. Nun sitzt sie als Angeklagte vor Gericht.

"Hör auf" sei eindeutig

In Deutschland sorgte der Fall auch deshalb für Aufsehen, weil Lohfink in einigen Sequenzen des Sexvideos, das mehr als eine Million Mal angeklickt wurde, "Nein" und "Hör auf" sagt: Das sei eindeutig, erkenne das deutsche Recht dieses Nein nicht an, verkenne es die Selbstbestimmung der Frau – das war nicht nur der Tenor in vielen Meinungsbeiträgen und in sozialen Netzwerken, sondern auch der von Ministerin Schwesig.

In Österreich ist man diesbezüglich schon weiter. Anfang des Jahres trat eine Reform des Strafgesetzbuches in Kraft, die zur Folge hat, dass es nun ausreicht, wenn ein Opfer von sexueller Gewalt dem Täter "auf erkennbare Weise" zu verstehen gibt, dass es mit der Handlung nicht einverstanden ist – auch wenn es sich aus Angst nicht zur Wehr setzt und sonst keinen Widerstand leistet. Ein beweisbares "Nein" würde demnach genügen.

Wenige Anklagen

Das Problem ist, dass bei Sexualdelikten die Beweislage oft mehr als dünn ist. Beteiligt sind zumeist nur zwei Personen, es gibt also keine Zeugen. Geht das Opfer nicht sofort zur Polizei oder ist dazu einfach nicht in der Lage, können Spuren wie Körperflüssigkeiten nicht gesichert werden – und die Staatsanwaltschaft darf schlussendlich nur jene Fälle anklagen, in denen eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch.

Diese Beweisschwierigkeiten spiegeln sich auch statistisch wider: Im Jahr 2015 haben die österreichischen Staatsanwaltschaften 1266 vermeintliche Vergewaltigungen behandelt, aber nur in 231 Fällen Anklage erhoben.

Wie viele dieser Prozesse schließlich zu einer Verurteilung führten oder führen werden, lässt sich nicht sagen, heißt es aus dem Justizministerium, weil bei den Verurteilungen nicht erhoben wird, wann die Anklage erfolgt ist. Im vergangenen Jahr wurden jedenfalls lediglich 117 Schuldsprüche wegen Vergewaltigung gefällt.

Opfer als Beschuldigte

Im Vergleich dazu führten von 3766 staatsanwaltschaftlich behandelten Fällen von schwerer Körperverletzung im Jahr 2015 insgesamt 2404 zu einer Anklage – also wesentlich häufiger.

Aus diesen Zahlen lässt sich schließen, was Fachleute, die in der Praxis mit Fällen von sexueller Gewalt konfrontiert sind, längst vermuten: Es gibt Täter, die allein deshalb nicht bestraft werden, weil Aussage gegen Aussage steht und in Österreich der Grundsatz "in dubio pro reo" – also im Zweifel für den Angeklagten – gilt.

"Wir haben mit Frauen zu tun, die dann selbst ins Visier der Justiz geraten", sagt Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser. Auch beim Frauennotruf der Stadt Wien wird bestätigt, dass sich regelmäßig Frauen melden würden, die sich als Opfer sehen und plötzlich als Beschuldigte geführt werden.

"Signalwirkung ist fatal"

Denn wie auch im Fall von Gina-Lisa Lohfink: Wenn jemand einen anderen durch eine nicht haltbare Behauptung in seiner Ehre verletzt – wie beispielsweise der Vergewaltigung bezichtigt –, muss die Anklagebehörde eine Verleumdung beziehungsweise Falschaussage in Erwägung ziehen. Das vermeintliche Opfer könnte schließlich auch gelogen haben. Fest steht nämlich: Eindeutig ist in solchen Fällen zumeist gar nichts.

Konkrete Zahlen, wie oft Menschen, die sagen, vergewaltigt oder sexuell genötigt worden zu sein, letztlich selbst beschuldigt werden, gibt es nicht. "Die Signalwirkung ist jedenfalls fatal", sagt Rösslhumer. "Es ist ohnehin schon so schwierig, über solche Vorfälle zu sprechen. Dass man als Opfer dann auch noch selbst zum Täter werden kann, hat eine massiv abschreckende Wirkung und ist sehr entmutigend."

Es ist ein scheinbar unlösbares Dilemma: Niemand möchte, dass Vergewaltigungsopfer auf der Anklagebank landen, weil sie den Mut gefasst haben, eine Tat anzuzeigen – egal, wie schwer sie zu beweisen ist. Andererseits kommt es natürlich auch vor, dass ein erfundenes Sexualdelikt als Druckmittel eingesetzt wird – wie es vor allem in Familienrechtsstreitigkeiten immer wieder vorkommt – oder Teil einer Racheaktion ist.

Haltlose Vorwürfe

Der wohl größte öffentlichkeitswirksame Prozess wegen Vergewaltigung in Deutschland vor jenem rund um Gina-Lisa Lohfink war der gegen Jörg Kachelmann. Der Wettermoderator saß 132 Tage in Untersuchungshaft, schlussendlich wurde er aber von allen Vorwürfen freigesprochen – die von mehreren Frauen in Boulevardmedien erhobenen Beschuldigungen und Diskreditierungen erwiesen sich als haltlos.

Rösslhumer sagt: "Es geht nicht nur um Gesetze, sondern vor allem um einen sensiblen Umgang." Polizisten, Staatsanwälte und Richter würden nicht ausreichend für den Kontakt mit Opfern von sexueller Gewalt geschult. "Das beginnt bei der Anzeigenerstattung, Betroffene müssten informiert werden, dass sie ein Recht auf kostenlose Prozessbegleitung haben."

Frauen als Objekt

Maria Wittmann-Tiwald, Vorsitzende der Fachgruppe Grundrechte der Richtervereinigung, formuliert es folgendermaßen: "Eine Anzeige einzubringen ist extrem anstrengend, ein Verfahren belastend, und es kann einem passieren, dass das, was einem passiert ist, sich nicht beweisen lässt. Aber vielleicht ist es trotzdem besser, es versucht zu haben, als von vornherein aufzugeben."

So sieht das Gina-Lisa Lohfink trotz allem offenbar auch. Sie hat den Verein Women are strong gegründet, der Opfer von sexueller Gewalt "kostenlos, psychisch, moralisch und juristisch" unterstützen soll. "Ich möchte Frauen schützen", sagt das It-Girl heute. "Weil es nicht jeder gut mit einem meint." Am Montag wird der Prozess gegen Lohfink fortgesetzt, im Jänner wird sie Medienberichten zufolge in das RTL-"Dschungelcamp" einziehen. (Katharina Mittelstaedt, 22.8.2016)