Wien – Helmut Elsner war wohl der prominenteste Fall. Der frühere Bawag-Chef wurde im Juli 2011 nach viereinhalb Jahren Haft vorzeitig entlassen. Ein kardiologisches Gutachten hatte ergeben, dass eine weitere Inhaftierung des zu zehn Jahren Freiheitsentzugs verurteilten Ex-Bankers wegen seines schlechten Gesundheitszustandes nicht mehr zu verantworten sei.

Aktuell haben die Causen Petrikovics und Hochegger das Thema Haftuntauglichkeit wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Ex-Immofinanz-Chef Karl Petrikovics war im April 2013 wegen Untreue zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Das Urteil wurde Anfang des Jahres rechtskräftig, Petrikovics beantragte allerdings nach Vorlage eines Privatgutachtens einen Strafaufschub wegen Vollzugsuntauglichkeit.

Unter Auflagen

Vorerst konnte er sich aber bei Gericht nicht durchsetzen. Das Wiener Landesgericht stellte diese Woche nach Beiziehung von zwei Sachverständigengutachten "unter gewissen Auflagen" die Vollzugstauglichkeit fest. Petrikovics' Anwalt kündigte Berufung an.

Ex-Lobbyist Peter Hochegger wiederum sorgte für Schlagzeilen, weil er nach einem psychischen Zusammenbruch einen Termin eines Telekom-Prozesses verpasste und in der Folge in U-Haft genommen wurde. Sein Rechtsbeistand hält eine Haftunfähigkeit für "möglich".

27 Fälle im Vorjahr

Diese clamorosen Fälle, also solche mit Promibeteiligung, dominieren natürlich die öffentliche Wahrnehmung. Aber gibt es tatsächlich einen steigenden Trend zur Vollzugsuntauglichkeit? Diese Frage zu beantworten ist nicht ganz einfach. Das Justizministerium ist nämlich nicht in der Lage auszuheben, in wie vielen Fällen bereits vor Haftantritt eine Untauglichkeit festgestellt wird.

Helmut Elsner kam 2011 frei.

Für den STANDARD hob das Ministerium aber aus, wie häufig in den vergangenen Jahren ein nachträglicher Strafaufschub, also nach Haftantritt, bewilligt wurde. Dabei zeigt sich erstens: Vollzugsuntauglichkeit wird relativ selten festgestellt. Und zweitens: Ein steigender Trend kann nicht beobachtet werden. Im Vorjahr gab es 27 Fälle von Haftuntauglichkeit, in den Jahren davor waren es um die 40 (siehe Grafik), und heuer wurden bis Anfang August erst 15 Fälle verzeichnet. Insgesamt gibt es derzeit 286 Personen, die in den Genuss eines Strafaufschubs kamen.

Eine Aufschlüsselung nach Delikten ist laut Justizministerium nicht möglich. Man weiß also nicht, ob es sich primär um Wirtschaftsdelikte handelt. Laut Strafvollzugsgesetz kann ein Aufschub grundsätzlich "wegen einer Krankheit oder Verletzung, wegen Invalidität oder eines sonstigen körperlichen oder geistigen Schwächezustandes" gewährt werden. Auch im Falle einer Schwangerschaft besteht diese Möglichkeit.

Erzieherische Wirkung

Zu berücksichtigen hat die Justiz bei der Prüfung aber nicht nur gesundheitliche Aspekte, sondern auch die Frage der Prävention. So gibt es ein Urteil des Obersten Gerichtshofes, wonach ein völlig Blinder als vollzugstauglich eingestuft wurde, weil auf ihn trotz seiner Beeinträchtigung in der Haft "erzieherisch" eingewirkt werden könne. (Günther Oswald, 19.8.2016)