"Die Zweite Wiener Türkenbelagerung gehört heute nicht mehr zu den als besonders wichtig empfundenen Ereignissen der österreichischen Geschichte", schließt der Wiener Historiker Peter Rauscher seinen 2010 veröffentlichten wissenschaftlichen Aufsatz zum Thema "Die Erinnerung an den Erbfeind. Die ‚Zweite Türkenbelagerung‘ Wiens 1683 im öffentlichen Bewusstsein Österreichs im 19. und 20. Jahrhundert" ab.

Tatsächlich ist die Erinnerung an die Erste und Zweite Belagerung Wiens durch das osmanische Heer in den Jahren 1529 und 1683 längst aus dem aktiven Gedächtnis der Wiener verschwunden, blieb aber in Mythen und Legenden erhalten. Kaum jemand in Wien kennt nicht die Erzählungen von osmanischen Kaffeesäcken vor den Toren Wiens oder den dem muslimischen Halbmond ähnelnden Kipferln. Doch die Erinnerung an die Belagerungen Wiens durch die Osmanen trägt in der österreichischen und Wiener Geschichte durchaus die Züge einer historische Belastung.

Das Feindbild Islam

Auch die öffentlich ausgetragenen Gedächtnisfeiern an die Zweite Türkenbelagerung waren in den letzten Jahrhunderten nicht ohne politische Brisanz. So stand 1883 im Zentrum des 200-jährigen Jubiläums der Entsatzschlacht von 1683 die These von der Verteidigung Wiens als Wiege abendländischer Kultur. Der damalige Wiener Bürgermeister Eduard Uhl sprach in dem Rahmen von Wien als "Vormauer deutschen Geistes und deutscher Kultur".

Der deutsche Historiker Onno Klopp hob die damaligen Feierlichkeiten sogar weit über das Lokale empor und stilisierte die Schlacht am Kahlenberg zum Sieg des Christentums über den aggressiven Islam: "Indem sich an den Mauern von Wien zum zweiten Male die Aggressive des Osmanenthums brach, und zwar dies Mal die letzte Sturmfluth desselben, haben alle christlichen Nationen Westeuropas, auch selbst diejenigen, von welchen aus damals zu Gunsten der Türken gearbeitet wurde, das Recht und die Pflicht, bei Wiederkehr des Tages, der den Islam für immer entscheidend zurückwarf, mit Dank und Freude desselben zu gedenken", schrieb damals Klopp.

Im Zeichen der Verständigung

Doch das Bild der Türkei in Österreich wandelte sich im Laufe des 20. Jahrhunderts. Dazu trugen sicher auch das Bündnis zwischen Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich im Ersten Weltkrieg sowie freundschaftliche Beziehungen zwischen Türkei und der Ersten Republik bei. Ein Beleg dafür ist die Rede von Bundespräsident Wilhelm Miklas anlässlich des deutschnational aufgeladenen 250. Jubiläums der Kahlenberg-Schlacht am 12. September 1933: "Auch er operierte mit den positiven Begriffen ‚Christenheit‘, ‚Deutschland‘ und ‚Heldenzeitalter Österreichs‘, vermied angesichts der freundschaftlichen Beziehungen zur Türkei aber stereotype Feindbilder und hob stattdessen die Tapferkeit der osmanischen Armee hervor", schreibt Peter Rauscher in seiner Analyse.

Das 300-jährige Jubiläum 1983 stand schließlich im Zeichen der Völkerverständigung: Der damals stattfindende österreichische Katholikentag und der Besuch des Papstes Johannes Paul II. wurden genutzt, um den Frieden als christliches Ideal und die Notwendigkeit des Dialogs mit dem Islam zu betonen. "Der Katholikentag muss ein Fest des Friedens und der Versöhnung sein, vor allem auch eine Besinnung auf unsere mitmenschlichen Verpflichtungen gegenüber muslimischen Mitbürgern in Österreich", schrieb etwa der österreichische Journalist Hubert Feichtlbauer in der "Furche" vom 9. Februar 1983.

Tagespolitisch genutzt

Doch in den letzten Jahren wurden die osmanischen Belagerungen immer wieder tagespolitisch instrumentalisiert, etwa durch den FPÖ-Comic "Sagen aus Wien" vor den Wiener Gemeinderatswahlen 2010. Auch die jüngsten Ereignisse rund um den Putsch in der Türkei stellen die türkisch-österreichischen Beziehungen erneut auf die Probe. Dass dabei alte historische Feindbilder als Mittel der Tagespolitik missbraucht werden können, liegt auf der Hand.

Die zahlreichen Erinnerungsorte in Wien sprechen jedoch nicht nur von den Gegensätzen, sondern zeugen auch von einer gewissen Faszination für den türkischen "Erbfeind". Die Österreichische Akademie der Wissenschaften listet diesbezüglich in ihrem Projekt "Türkengedächtnis" rund 30 Denkmäler in Wien auf, die an die osmanischen Belagerungen erinnern. Einige von ihnen, beispielsweise der Türkenschanzpark, gehören heute zu den beliebtesten Orten Wiens. (Nedad Memić, 17.8.2016)

Türkenschanzpark – Eine der schönsten Parkanlagen Wiens an der Grenze vom 18. zum 19. Bezirk ist an der Stelle entstanden, wo sich während der Zweiten Türkenbelagerung eine osmanische Schanze befunden hatte.

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Yunus-Emre-Brunnen – Der türkische Brunnen im Türkenschanzpark wurde 1991 von der Republik Türkei gestiftet und ist nach dem berühmten türkischen Poeten und Mystiker aus dem 14. Jahrhundert, Yunus Emre, benannt.

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Kosakendenkmal – Das Denkmal mit dem rauchenden Kosaken und einem grasenden Pferd wurde anlässlich des 320. Jubiläums der Zweiten Türkenbelagerung im Türkenschanzpark enthüllt und ehrt die Beteiligung von Kosaken an der Wiener Entsatzschlacht 1683.

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Türkenkreuz Am Palmsonntag 1924 wurde das Türkenkreuz vis-á-vis der S-Bahn-Station Hernals als Erinnerung an die Entsatzschlacht und die Kämpfe in Dornbach aufgestellt und eingeweiht.

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Türkenritthof – Die 1927 und 1928 erbaute Wohnhausanlage in der Hernalser Hauptstraße 190–192 erinnert an den "Türkenritt": einen Umzug, der die besiegten Osmanen zur Zielscheibe des Spotts gemacht hatte.

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Türkenstraße – Eine Straße zwischen Roßauer Lände und Währinger Straße am Alsergrund wurde 1862 zur Erinnerung an die Türkenbelagerungen "Türkenstraße" benannt.

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Heidenschuss – Eine Straße sowie eine Statue eines Osmanen im Zentrum Wiens erinnern an die Geschichte eines Bäckergesellen, der der Überlieferung nach während der Ersten Türkenbelagerung 1529 das unterirdische Vordringen der Osmanen hatte aufhalten können.

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Vergoldete Türkenkugel – Das Haus "Zur goldenen Kugel" Am Hof 11 und eine an deren Fassade angebrachte vergoldete Kugel erinnern an eine osmanische Kanonenkugel, die hier 1683 eingeschlagen haben soll.

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Türkische Kanonenkugel – An der Fassade des Wiener Neustädter Hofs in der Sterngasse 3 wurde ein Steinbrocken eingemauert. Dieser Brocken soll 1683 aus der osmanisch besetzten Leopoldstadt auf das belagerte Wien abgefeuert worden sein.

Salmannsdorf – Der Name des beschaulichen Heurigendorfes im 19. Bezirk soll sich einer Wiener Legende nach vom osmanischen Sultan "Soliman" dem Prächtigen abgeleitet haben. In Wahrheit steckt der althochdeutsche Personenname "Salmann" dahinter.

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