Mit einer vibrierenden Uhr am Handgelenk verändert sich vieles, unter anderem die Sicht auf sich selbst, wie ein Selbsterfahrungsbericht zeigt.

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Tag 1

Sie überwachen gnadenlos jede Bewegung – und werden von immer mehr Menschen getragen. Nun auch von mir, freiwillig. Eine Woche lang soll mich der als knallpinke Armbanduhr getarnte Fitnesstracker Tag und Nacht begleiten. Das Ziel lautet, so viel wie möglich über den eigenen Körper zu erfahren. Denn Studien zeigen, dass Selbsteinschätzung und Realität oft Welten voneinander entfernt liegen, etwa wenn es um die tägliche Bewegung geht – man schätzt sich selbst als aktiv ein, ist es aber gar nicht. Wie viel bewege ich mich im Büro wirklich? Wie gut schlafe ich in der drückenden Sommerhitze? Und an welchen Schrauben kann ich drehen? Darauf soll mir die App Antworten liefern.

Die Motivation zu mehr Bewegung ist am Handy installiert. Die dazugehörige Uhr liegt seit Monaten auf dem Schreibtisch bereit. Zu lange, wie sich herausstellt: Irgendwann dürfte die Batterie den Geist aufgegeben haben. Das Projekt "Selftracking" wird gemeinsam mit dem Besuch im Uhrengeschäft also auf den nächsten Tag verschoben. Noch ein letztes Mal wird entspannt, ohne dass aufgezeichnet wird.

Tag 2

George Orwell lässt grüßen. Handy und Fitnesstracker wissen schon jetzt mehr über mich als die meisten Freunde. Gewicht, Körpergröße, Alter: All das muss ich dem System bekanntgeben, damit es messen kann. Abgefragt werden auch meine "inaktiven Zeiten am Tag". Das ist schon schwieriger, denn nun geht es ans Formulieren der Ziele. Grundsätzlich ist das eine gute Idee. Psychologen betonen, dass Ziele so konkret wie möglich definiert werden müssen, damit sie überhaupt erreicht werden können. Mein Traum, einen Marathon in weniger als vier Stunden zu laufen, steht in der App leider nicht zur Auswahl. Stattdessen entscheide ich mich für 8000 Schritte pro Tag. Laut einer Studie ist es das ideale Ausmaß an täglicher Bewegung. Ob ich das schaffe, darüber wird mich die Armbanduhr sogar mittels eines separaten Uhrzeigers auf dem Laufenden halten.

Die wichtigste Frage des Tages ist für mich einstweilen: Trägt man einen Fitnesstracker wirklich immer – auch beim Duschen? Angeblich ja. Die Armbanduhr soll auch in der Nacht am Handgelenk bleiben. Okay. Das Resumee meines Tages: 2875 Schritte – mein 8000-Schritte-Ziel habe ich also total verfehlt. Dafür hat mein Körper stolze 1911 Kalorien verbrannt. Doch wie viele Kalorien ich esse, das weiß die Uhr nicht: Dafür, dass sich zugeführte und verbrannte Kalorien die Waage halten, werde ich also weiterhin selbst verantwortlich sein.

Tag 3

Verwirrung im Halbschlaf: Was vibriert denn da? Es ist der Tracker am Handgelenk, der über eine Weckfunktion verfügt. 21 Schritte sind es vom Bett zum Frühstückstisch. Dort erregt die Auswertung der Schlafqualität großes Aufsehen: Sogar jene, die sich am Vorabend noch über die Fixiertheit auf eine Armbanduhr lustig gemacht haben, wollen plötzlich die Nacht mit ihr verbringen. Zu sehen, wie effektiv man schläft, ist ja auch tatsächlich interessant: Vergangene Nacht lag meine Schlafeffizienz bei 91 Prozent. 84 Prozent davon war ich im Tiefschlaf, acht Prozent im leichten Schlaf und acht Prozent wach. All das wird auf die Minute genau am Handy angezeigt, das nun statt der Zeitung am Frühstückstisch herumgereicht wird. Ob die Informationen, die die Uhr sammelt, auch stimmen, ist aber eine andere Frage. Experten bemängeln bei Fitnesstrackern immer wieder ihre fehlende Genauigkeit. Trotzdem: Eine Schlafeffizienz von 91 Prozent klingt toll – und ich fühle mich gleich herrlich erholt.

Voller Kraft für den sonntäglichen Lauf, der mit einer Uhr auf jedem Handgelenk absolviert wird – Pulsuhr auf der einen, Fitnesstracker auf der anderen Seite. Das sieht komisch aus und ist unbequem. Auf der Prater-Hauptallee wird dies dafür mit schiefen Blicken quittiert. Aber was zählt, ist das Erreichen des Tagesziels. Das motiviert auch beim Laufen. Am Abend steht fest, dass ich mein Soll mit knapp 24.000 Schritten zu 300 Prozent erfüllt habe. Ich freue mich, und die Uhr freut sich mindestens genauso – zumindest vibriert sie schon wieder.

Tag 4

Der erste Tag im Büro mit Fitnesstracker: Die zwei Straßenbahnstationen zur U-Bahn lege ich zu Fuß zurück – und lasse den kleinen Zeiger auf der Uhr, der meinen Fortschritt anzeigt, nicht aus den Augen. Er bewegt sich ein großes Stück – und das schon um acht Uhr morgens. Eineinhalb Stunden später beginnt die Uhr im Büro aber plötzlich unvermittelt zu vibrieren. Ich kenne mittlerweile manche der zahlreichen Vibrationsarten der Uhr und kann sie schon fast immer richtig interpretieren. Diesmal weiß ich: Ich war zu lange inaktiv. Folgsam lasse ich alles stehen, hole mir einen Kaffee und laufe ein bisschen herum. Tatsächlich: Die nicht ganz freiwillige Pause hat gutgetan, ich arbeite konzentrierter weiter. Doch am Abend die Ernüchterung: Das Tagesziel von 8000 Schritten habe ich nicht erreicht. Besonders schockierend: Laut Uhr war ich an diesem Bürotag lediglich 14 Minuten aktiv – auf dem Weg zur Arbeit, in der Mittagspause und auf dem Heimweg. Ich fühle mich unfit.

Um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, lese ich in Onlineforen Tipps, wie sich der Fitnesstracker austricksen lässt. Etwa indem beim Fernsehen für 15 Minuten der Arm geschüttelt wird, um dem System Aktivität vorzugaukeln. Auch eine interessante Idee aus dem Internet: die Uhr am Halsband eines Hundes befestigen – und sich dann entspannt zurückzulehnen, während dieser herumtollt. Ich habe nur leider keinen Hund. Meine Nachbarn würden sich wahrscheinlich schön wundern, wenn ich ihrem Haustier meinen Tracker umhängen würde. Ich entscheide mich daher für den ehrlichen Weg und resümiere: 3501 Schritte, 1834 Kalorien verbrannt.

Tag 5

Heute weckt mich kein morgendliches Vibrieren der Uhr. Ich bekomme auch nicht gleich nach dem Aufstehen eine eingehende Analyse meines Schlafverhaltens präsentiert: Die Uhr liegt noch am Küchentisch – dort, wo ich sie am Vorabend abgelegt und vergessen habe. Denn, ehrlich gesagt, der Tragekomfort des Trackers ist gewöhnungsbedürftig: Das Uhrband pickt in der Sommerhitze auf der Haut, ist einmal zu weit, dann wieder zu eng. Großes Drama gleich in der Früh: Was tun, wenn die Schlafdaten fehlen? Wie die entstandene Lücke in der Aufzeichnung füllen? Am Ende schätze ich meine Schlafeffizienz einfach selbst: 100 Prozent, mindestens.

Tag 6

Die App verkündet den Start eines "Streaks". Will heißen: Ich bin auf einer Erfolgsschiene. Das System motiviert mich weiterzumachen. Der Grund: Ich habe zum zweiten Mal in Folge mein Tagesziel erreicht! Weil ich am Abend noch einen ausgedehnten Spaziergang gemacht habe. Mein Ziel: mit Laufschuhen und Sportoutfit zum Eissalon Tichy auf dem Reumannplatz auf vier große Kugeln Eis. Aber das kann die Fitnessuhr ja Gott sei Dank nicht wissen.

Tag 7

Die Woche mit Fitnesstracker ist offiziell vorüber. Fazit: Das Gerät hat mich tatsächlich motiviert, manchmal zu Fuß zu gehen und nicht immer nur die Öffis zu nehmen. Allerdings: Wenn ich mein Tagesziel verfehlt hatte, habe ich die App am Abend ignoriert. Dann vibriert die Uhr böse. Eigentlich müsste ich die Uhr 100 Tage tragen, lese ich. Nur dann würde mein Lebensstil nachhaltig aktiver werden. Ich schaffe das nicht. Denn irgendwann ist es uninteressant geworden, mich ständig so intensiv mit mir selbst zu befassen. Es ist wie ein Wettkampf. Mein Gegner bin immer ich selbst, mein Ich vom Vortag. (Franziska Zoidl, CURE, 11.9.2016)