Der Dichter fiebert und diktiert: Das Wort verbindet und trennt Herrn Grillparzer (Horst Schily) und seine Donaudampferstewardess (Saskia Klar) gleichermaßen. Sie sieht in ihm Mann und Mentor.


Foto: Christian Mair

Reichenau an der Rax – Die wahren Abenteuer mögen im Kopf stattfinden. Manchmal muss man aber trotzdem hinaus in die Welt. Nebst anderen auch zu diesem Zweck hatte um 1830 die Donauschifffahrtsgesellschaft ihre Dienste aufgenommen. Und genauer als mit Abenteuerlust lässt sich nicht erklären, warum Franz Grillparzer im August 1843 auf eine Fahrt den Strom abwärts ging: per Schiff bis ans Schwarze Meer und von dort aus zu den Kulturstätten von Konstantinopel, Athen und Troja.

Beim Stand damaliger Technik und der politischen Verhältnisse durchaus ein mittleres Wagnis. "Ich suchte ihr zu beweisen, wie widersinnig diese Furcht sei, indes ich mir heimlich gestand, daß meine Reise noch viel widersinniger sei als diese Furcht", bemerkt der Dichter zum Abschied von seiner Geliebten Kathi Fröhlich am 27. August. Nicht selten ging in jenen Anfängen etwa der eine oder andere Dampfkessel in die Luft.

Ein Tagebuch zeugt von den Begebenheiten der Reise vor rund 170 Jahren. Was auf dieser Tour neben dem an Ländern und Leuten Dokumentierten sonst noch passieren hätte können, zeigt sich gegenwärtig auf dem Thalhof in Reichenau. Herr Grillparzer fasst sich ein Herz und fährt mit einem Donaudampfer ans Schwarze Meer heißt die ebenso stoff- wie fabulierkundige Ergänzung des Historischen durch den Wiener Wortsetzer Erwin Riess. Erdacht hat er vor allem eine siebenbürgische Stewardess. Sie "renitent" zu nennen beschriebe ihren bodenständigen Charme nur halb. Das geht auch Herrn Grillparzer bald auf.

Als jener ist Horst Schily zwischen Tisch und Bett (sparsam: auf einem wackligen Podest simulieren Tritte der Darsteller den Wellengang) auf "Generalflucht" vor einem verkommenen, bigotten Wien, über das er sich schlussendlich – als Ahn und Ahnung Thomas Bernhards – auslassen wird. Vorsatz hierzu: "Ich muss den Österreicher in mir überwinden."

Schon deshalb steht die bis dahin von Saskia Klar erhoffte gemeinsame Zukunft (und damit verbunden Bildung und Fortkommen) aber unter keinem guten Stern. Noch weniger, weil der Professionist auch ein Behinderter der Worte ist: Intimität ist dem Hypochondrischen eine Sache der Tat. Wo Intimität sein will, kann das Wort nicht das Zwischenmenschliche verwalten.

Riessens Kabinenspiel aber strotzt vor Worten, klugen, schönen, zudem feinen. Als gelehrig in deren Gebrauch erweist die junge Frau sich zu aller Freude. Mit flinkem Wortwitz schaukelt sich die menschliche Erkundungsfahrt so vom Schriftstellern über Leibesübungen, bedrückende heimatliche Verhältnisse und Fieberdiktate gemächlich hoch. Das ergibt ein charmant ungleiches Liebestasten, schwelgerisch am Klavier begleitet und stimmig in sich.

Gar beschaulich vielleicht, beließe es die Regie (Jérôme Junod) nicht bei einem szenischen Entwurf: Das Darstellerduo – Klar rührend und forsch zwischen Abgeklärtheit und Offenheit, Schily sinnend und väterlich – behält die Textblätter, auf denen Riess Grillparzers Duktus meisterlich nachbildet, in Händen. Da wird manche Stelle gesucht, und Requisiten bleiben der Imagination überlassen. Der Kniff macht wach.

Denn einlullen will Riess, ein belesener und ebenso leidenschaftlicher wie temperierter Beobachter, der seit zehn Jahren in Kärnten lebt und zuletzt v. a. Prosa veröffentlicht hat, nicht. Der Nationaldichter von damals ist für ihn noch immer bzw. wieder aktuell: seine politische Hellsichtigkeit eines befriedeten bzw. geeinten Europas etwa. Oder sein Ärger über politischen Stillstand.

Salon5 auf Sommerfrische

Auf dem Thalhof ist Grillparzer sowieso immer heimisch. Wie viele Dichter, Künstler und Denker der Monarchie hat er seine Sommerfrischen hier verbracht. Nicht Ehrfurcht vor dieser Tradition, sondern deren Fortführung will Anna Maria Krassnigg, künstlerische Leiterin des Salon5 in Wien und seiner neuen Sommerdependance, auch mit dem übrigen Programm ihrer zweiten Saison an der Rax. Als nächste Premiere steht am Donnerstag das Musiktheater Die Braut oder Moderne Frauen mit Texten von Arthur Schnitzler und Elfriede Jelinek an. (Michael Wurmitzer, 16.8.2016)