Braunkohlekraftwerk oder Windenergie – wie Klimathemen online diskutiert werden, analysiert ein neues Webtool.

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Wien – Noch bevor Meinungsumfragen zu einem Thema gemacht werden, lassen sich aufkommende Hypes oder Ablehnung schon früh in sozialen Medien ablesen. "Wegen der starken Aufmerksamkeit, die digitale Medienkanäle heute auf sich ziehen, ist es für Entscheidungsträger eine zentrale Frage, wie die Öffentlichkeit wichtige Themen wahrnimmt", sagt Jacqueline McGlade, Chefwissenschafterin des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (United Nations Environment Programme, kurz UNEP). Die Kanadierin ist Professorin für Umweltinformatik und Meeresbiologie, zuvor war sie Chefin der Europäischen Umweltbehörde.

Geht es um die Kommunikation von Umwelt- und Klimaschutzthemen, steht dazu seit einigen Monaten eine neue Möglichkeit parat: Das Live-Portal des UN-Umweltprogramms, auf dem Daten in Sachen Umwelt wie Feinstaubbelastung, Hochwasser oder Waldflächen frei zugänglich sind, wurde durch ein sogenanntes Web-Intelligence-Tool ergänzt, mit dem die Kommunikation über diese Themen erkannt, ausgewertet und visualisiert werden kann.

Künstliche Intelligenz

Dieser neue Bestandteil des UN-Portals, der Ende Mai freigeschaltet wurde, kommt aus Österreich: Die Technologie wurde in Zusammenarbeit mit der Modul-Privatuniversität in Wien entwickelt, federführend war dabei Arno Scharl, der Leiter des Instituts für Neue Medientechnologie.

Unter Web-Intelligence versteht man den Einsatz von Software und Prozessen zum Sammeln und Auswerten von Daten via Internet, zum Teil mithilfe künstlicher Intelligenz. Da heute in vielen unterschiedlichen Wissensgebieten riesige Mengen interessanter Informationen verfügbar sind – Stichwort Big Data –, kommt der systematischen Auswertung und in weiterer Folge auch der übersichtlichen Darstellung eine immer größere Rolle zu.

Im Falle des UNEP-Portals bedeutet das die Nutzung von rund zehn Millionen Dokumenten pro Monat; neben Medienberichten und Meldungen auf den Websites von Umweltorganisationen werden auch Meldungen auf Social-Media-Plattformen dafür ausgewertet. McGlade: "Wir haben in den vergangenen Monaten mit den Forschern der Modul-Universität zusammengearbeitet, um Visualisierungstools zur Analyse des daraus entstandenen Wissens zu erarbeiten." Grundlage dafür war die Web-Intelligence-Plattform Web Lyzard der Modul-Uni, wobei im Speziellen die sogenannte Recognyze-Komponente zur automatischen Erkennung von Personen, Organisationen und Orten zum Einsatz kam, die um den wissenschaftlichen Wortschatz zur besagten Thematik ergänzt wurde. Auch die Uno-Ziele zur Nachhaltigkeit mussten dabei berücksichtigt werden.

Doch wozu soll überhaupt die Reaktion auf Umweltthemen gemessen werden? "Die neue Web-Intelligence-Plattform kann nicht Fakten und Zahlen anerkannter wissenschaftlicher Quellen als Grundlage von Entscheidungen ersetzen. Sie ergänzt diese und zeigt, wie wissenschaftliche Erkenntnisse in Maßnahmen umgesetzt werden – damit können wir Missverständnisse besser ansprechen", meint McGlade.

Es soll ermittelt werden, wie sich die Kommunikation der angestrebten oder umgesetzten Maßnahmen in der Praxis auswirkt. Trends und Meinungsströmungen sollen rasch identifiziert werden; Social-Media-Plattformen wie Twitter spielen dabei eine immer größere Rolle. Es ist kein Wunder, dass die Uno die Kommunikation von Umweltthemen im Auge behalten will: Geht es um Klimaschutz und Umweltmaßnahmen, schieben sich nicht nur Lobbyisten, sondern auch teils oberflächlich informierte Politiker, Medien und selbsternannte Experten zwischen wissenschaftliche Erkenntnis und öffentliche Wahrnehmung.

Zur Zielgruppe für das neue Onlinewerkzeug zum Sichtbarmachen der Umweltkommunikation zählen nach Ansicht von McGlade vor allem Entscheidungsträger, die mit Klima- und Umweltthemen zu tun haben, etwa die Regierungen der UN-Mitgliedsländer, aber auch Kommunikationsexperten und Medien. "Die Plattform kann aber von jedem genutzt werden, und es bedarf keiner besonderen Vorkenntnisse dafür."

Neue Quellen

Das Interesse sei jedenfalls groß, das neue Onlinewerkzeug wurde Ende Mai bei der zweiten Umweltversammlung der Vereinten Nationen (United Nations Environment Assembly, kurz UNEA) in Nairobi vorgestellt. "Dabei ging es vor allem um das Potenzial zum Erkennen geografischer Muster, Meinungsänderungen bezüglich Umweltthemen und den Einfluss der wichtigsten Akteure auf ein bestimmtes Thema", so McGlade.

Das Web-Intelligence-Tool sei allerdings nur eine von vielen Quellen, die zur Entscheidungsfindung beitragen können. In den nächsten Monaten soll die Auswahl an Quellen für das UNEP-Live-Portal ausgeweitet werden, unter anderem bezüglich der wissenschaftlichen Literatur und der Umweltberichte der Uno selbst. Das neue Web-Intelligence-Tool wiederum soll in Studien als Quelle für Umfragen und für eine Auswertung der Umweltkommunikation genutzt werden. (Robert Prazak, 18.8.2016)