Blickt Johann Strauß im Wiener Stadtpark auf einen Weißbrust- oder Braunbrustigel? In einem Citizen-Science-Projekt finden Forscher mehr über die Wildtiere der Stadt heraus.

Foto: Wiener Wildnis/M. Graf

Wien – Im Wiener Bezirk Liesing wurde ein Mann von einem verletzten Fuchs nach Hause verfolgt, wo sich das erschöpfte Tier im Vorgarten niederließ. Ein ähnliches Erlebnis hatte eine Frau in Wien-Döbling. Sie fand auf ihrer Terrasse einen Fuchs, der sich auf der Sonnenliege entspannte. Weniger Glück hatte ein weiterer Artgenosse. Er drang in ein Schlafzimmer ein und versteckte sich unterm Bett. Die Konfrontation mit dem Hund des Hauses überlebte er nicht.

Diese Begegnungen mit Füchsen in Wien haben es allein in den letzten sechs Wochen in die Lokalnachrichten geschafft. "Viele Menschen, die einen Fuchs in ihrem Vorgarten beobachten, gehen davon aus, dass sich das Tier in die Stadt verirrt hat", erklärt der Wildtierforscher Richard Zink. "Aber das ist nicht richtig. Die Tiere leben fix hier in der Stadt. Und hier ziehen sie auch ihre Jungen groß." Säugetiere, Vögel, Reptilien und Insekten teilen den Lebensraum Stadt mit dem Menschen – auch wenn sich viele von ihnen nur selten zeigen.

Projekt "StadtWildTiere"

Richard Zink hat am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Vetmed Uni Wien nach Vorbild einer Initiative in Zürich das Projekt "StadtWildTiere" gestartet. In Kooperation mit der Stadt Wien, der Umweltanwaltschaft, Jagdverbänden und anderen Institutionen wird die Verbreitung von Wildtieren in der Stadt untersucht. Bei der Beschaffung der Daten helfen die Bewohner, indem sie Ort, Zeitpunkt, Details und Fotos von Sichtungen in einer Onlinedatenbank vermerken. Der Fuchs, dem ein erster Citizen-Science-Schwerpunkt gewidmet war, kommt mit 800 Sichtungen auf die bisher meisten Einträge auf der Plattform.

Die Artenvielfalt im urbanen Umfeld ist mit anderen menschlich beeinflussten Naturräumen wie Landwirtschaftsflächen oder Nutzwald vergleichbar. Der Grund für die relativ hohe Biodiversität liegt für Zink in der Strukturierung der Städte, die eine hohe Vielfalt an Lebensräumen hervorbringt: Grünbereiche, Wasserlebensräume und die künstlichen Felsstrukturen der Gebäude.

"Sehr generalistisch veranlagten Tierarten bieten sich in der Stadt manchmal bessere Bedingungen als außerhalb. Spezialisten, die bestimmte Lebensräume wie etwa Trockenrasen oder Moore benötigen, bleiben dagegen eher auf der Strecke", sagt Zink. Fuchs, Steinmarder und Aaskrähe finden ein breites Nahrungsangebot. Eine Schmetterlingsart, die nur auf bestimmten Pflanzen Eier ablegt, wird kaum überleben.

Ersatz für den ursprünglichen Lebensraum

Andere Spezialisten finden hingegen gerade in der Stadt Ersatz für ihren ursprünglichen Lebensraum. "Turm-, Wanderfalken und andere Felsbrüter suchen gerne Hausfassaden auf. Seltene Arten wie der Mauerläufer kommen im Winter aus dem Gebirge, um in den vermeintlichen Felsstrukturen von Stephansdom oder Votivkirche Nahrung zu finden." Eine ganze Reihe von Insekten und Insektenfressern schätzt zudem die Klimabedingungen in der Stadt. Das fernschichtig mit den Grillen verwandte Weinhähnchen profitiert wie viele andere vom Mauerwerk, das auch nachts Wärme abstrahlt.

Wien hat eine gute Ausgangsposition für eine vielfältige Stadtfauna, erklärt Zink: Von Südosten her liegt die Stadt im Einflussbereich des pannonischen Klimas und hat noch einen fast steppenartigen Anteil. Durch die Donau und den Anteil am Nationalpark Donauauen sind aquatische Systeme stark vertreten. Und mit dem Wienerwald ergibt sich ein Anteil am Lebensraum der Alpen.

Neu in der Stadt – Neozoen

An Orten, an denen große Verkehrsachsen zusammenlaufen, trifft man auch auf Reisende. "Wenn die Schmuckschildkröten heranwachsen und das Wohnungsaquarium sprengen, werden die importierten Tiere oft ausgesetzt und zum Teil des städtischen Wildtierbestands", gibt der Wildtierforscher ein Beispiel. Andere Neozoen sind etwa Fische und Muscheln, die per Donauschifffahrt hierher gelangen.

Die Verbreitung der Wildtiere – auch der größeren Säugetiere – beschränkt sich längst nicht auf die grünen Außenbezirke. "Steinmarder sind beispielsweise in ganz Wien zu finden. Sie kommen auch in der Innenstadt gut über die Runden", sagt Zink. Fuchs und Dachs bevorzugen zwar die Peripherie, aber auch hier gibt es Ausnahmen.

"Der Dachs ist das größte Wildtier, das auch im innerstädtischen Bereich vorkommt", erklärt der Wissenschafter. "Die prominentesten Dachsbauten Wiens liegen im Liechtensteinpark, bei der Strudlhofstiege und im Augarten. Anders als der unstete Fuchs, der weiterzieht, wenn er seine Jungen etwa im Schönbrunner Schlosspark aufgezogen hat, bewohnen Dachsfamilien ihren Bau über Generationen hinweg." 300 Sichtungen der nachtaktiven Dachse wurden bereits gemeldet. Ein Dachsschwerpunkt soll viele neue Datenbankeinträge bringen.

Auswertung der Citizen-Science-Daten

Seit dem Start im Mai 2015 kamen an die 4500 Sichtungen über die "StadtWildTiere"-Plattform zusammen. Bei der Auswertung der Citizen-Science-Daten muss berücksichtigt werden, wer die Beobachter sind und welche Faktoren die Beobachtung beeinflussen, erklärt Zink. Beispielsweise kommen viele Fuchsbeobachtungen aus Gärten, weniger aus Wäldern. Ein anderer Faktor ist etwa, dass Menschen mit höherer Bildung häufiger Wildtiere melden.

Berücksichtigt man diese Einflüsse, können mithilfe von errechneten Sichtungswahrscheinlichkeiten Rückschlüsse auf Verbreitung und Population einer Tierart gezogen werden. Das gewonnene Wissen ist vielfältig einsetzbar – von Schutzmaßnahmen für gefährdete Tiere bis zur Warnung vor Höckerschwänen in der Alten Donau, die ihren Nistplatz verteidigen. Kaum Sichtungen gibt es zu seltenen Tieren wie Fischotter oder Haselmaus. Doch auch Tauben oder Ratten werden selten gemeldet, obwohl auch hier Verbreitungskarten – etwa zum Zwecke ihrer Eindämmung – interessant wären, so Zink. Bei der Erforschung von Tierseuchen ist das Datenmaterial ebenfalls hilfreich.

Der Forscher wünscht sich, dass das Beispiel Wiens Schule macht, und ist auf der Suche nach Kooperationspartnern in den Landeshauptstädten. "Ein Vergleich wäre wissenschaftlich spannend. Gemeinsam mit den Schweizer Kollegen könnte ein Ost-West-Gefälle bei der Verbreitung von Tierarten untersucht werden. In Wien ist etwa der Weißbrustigel (siehe Foto) vorherrschend, weiter westlich beginnt das Verbreitungsgebiet des Braunbrustigels. Es wäre interessant zu wissen, wo sie aufeinandertreffen", sagt Zink.

Nischen und Korridore

Und was kann getan werden, um die Verbreitung der tierischen Stadtbewohner zu fördern? Spezielle Materialien in Glasfassaden bewahren vor Vogelkollisionen. Kleine Nischen an Hausfassaden geben Felsbrütern einen Platz, um ihre Jungen aufzuziehen. Aus stadtplanerischer Perspektive ist neben Begrünungen und der Etablierung von Lebensräumen wie Teichen vor allem der Erhalt von Korridoren zwischen den Habitaten wichtig, um Verinselungen und genetische Verarmung zu vermeiden, so Zink. "Ein kleiner Tunnel unter der Straße kann da schon ausreichen." So kann man sicherstellen, dass sich auch in Zukunft Fuchs und Hase in Wien Gute Nacht sagen können. (Alois Pumhösel, 17.8.2016)