Cool: Harting beim Initiieren der Welle.

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Lässig: Harting mit seiner goldenen Beute.

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Rio de Janeiro – Nach dem größten Triumph seines Lebens geriet Christoph Harting wegen seines Auftritts auf dem Gold-Podest von Rio in Erklärungsnot. Das Verhalten des Diskuswerfers beim Abspielen der deutschen Hymne sorgt für Entrüstung unter seinen Landsleuten. Der Nachfolger seines Bruders Robert als Olympiasieger hatte die Arme verschränkt, geschunkelt, Grimassen geschnitten und zur Hymne gepfiffen.

"Wie bereitet man sich darauf vor, Olympiasieger zu werden? Ich meine, selbst bei aller Tagträumerei, die man irgendwie vollziehen kann – so was kannst du dir nicht vorstellen, so was kannst du dir nicht ausmalen", sagte der 25-jährige Berliner in einem TV-Interview der ARD und versuchte, sich zu rechtfertigen: "Stillstehen war nicht so meins, deswegen ist das vielleicht falsch angekommen."

Kritik vom Leichtathletik-Präsidenten

Es kam nicht nur falsch an, Christoph Hartings Verhalten sorgte für Kritik. "Seine sportliche Leistung war großartig, aber sein Verhalten bei der Siegerehrung ist unwürdig gewesen", tadelte der deutsche Leichtathletik-Präsident Clemens Prokop den jüngeren Bruder von Weltmeister Robert Harting nach dessen Gold-Coup.

"Ich bin ein Mensch, der Rhythmus braucht, der Rhythmus liebt", meinte Harting II bei einer nicht minder skurrilen Pressekonferenz: "Es ist schwer, zur Nationalhymne zu tanzen, habe ich festgestellt." Lachen konnte Michael Vesper über diesen Auftritt gar nicht. "Was Christoph Harting bei der Siegerehrung gezeigt hat, war nicht gut", kritisierte der deutsche Chef de Mission. "Er ist Teil unserer Mannschaft und Botschafter unseres Landes."

"Hormon-technisch völlig übersteuert"

Harting meinte in der ARD, dass er auf dem Podium noch halb im Wettkampfmodus gewesen sei. "Du bist im Kopf eigentlich völlig woanders, du bist hormon-technisch völlig übersteuert", sagte er. Allerdings hatte er auch nach der Siegerkür sein befremdliches Verhalten fortgesetzt. "Schönen guten Tag, ich freue mich, Sie zur Pressekonferenz, die relativ schweigend verlaufen wird, begrüßen zu dürfen", sagte er. "Ich bin Sportler und kein PR-Mensch, ich beantworte echt ungern Fragen."

Mit Blick auf den nicht gerade geliebten Bruder Robert, einen der Wortführer der deutschen Athleten, fügte er an: "Extrovertierte Menschen wollen wahrgenommen werden. Ich bin ein introvertierter Mensch und fühle mich völlig unwohl hier."

Sorry

Harting entschuldigte sich aber am Sonntag. "Ich möchte allen Leuten, die sich auf den Schlips getreten fühlen, den Zuschauern, die zu Hause geklatscht und mitgefiebert haben, bei denen möchte ich mich entschuldigen und ihnen erklären, dass ich diesen Erfolg weder verarbeitet habe noch in dem Moment verarbeiten konnte", sagte der 26-Jährige im Deutschen Haus in Rio.

Die Siegerehrung sei für ihn natürlich völlig ungewohnt gewesen. "Das erste Mal wurde die Nationalhymne nur für mich gespielt. Egal, wie man versucht, sich das vorzustellen – man ist darauf nicht vorbereitet und so überwältigt von allen Gefühlen", erzählte er weiter.

Den "Flow" aus dem Wettkampf habe er noch so lange gespürt, dass er versucht habe, "auf die Nationalhymne zu tanzen. Das war nicht wirklich toll. Muss man sagen. Das ist natürlich völlig falsch angekommen. Das war in keiner Weise Missachtung. Ich wollte es genießen, auf meine Weise."

Weißhaidinger: "Kasperl"

Der österreichische Olympia-Sechste Lukas Weißhaidinger hat ein gespaltenes Verhältnis zu Harting II. "Freunde werden wir nicht mehr, aber wir respektieren uns. Wenn ich die Bilder so sehe – er ist schon ein bisschen ein Kasperl. Aber das ist einfach der Christoph, der braucht die Aufmerksamkeit, die hat er sich verdient und die bekommt er jetzt. Ich würde es nicht so machen", meinte der 24-Jährige in einem ORF-TV-Interview und sprach auch von einem offenbar schwierigen Verhältnis zwischen den beiden Harting-Brüdern.

Selbst Hartings Trainer Torsten Lönnfors war ob des Verhaltens seines Schützlings entsetzt. "Keine Ahnung, was das sollte, ich verstehe es nicht. Christoph muss aufpassen, dass er jetzt nicht frei dreht", sagte der Coach der "Bild"-Zeitung. Lönnfors hat nun die weltbesten Diskuswerfer in seiner Trainingsgruppe, die aber auch die kompliziertesten sein dürften. "Man könnte meinen, zwei Brüder auf diesem hohen Niveau könnten jetzt die Welt rocken", sagte er. "Ich denke, dass es eher eine Konkurrenz ist, weil sie so unterschiedliche Typen sind. Das gemeinsame Losstürmen ist deshalb nicht so machbar." (APA, dpa, red, 14.8.2016)