Kürzlich zeigte eine Studie der Fachhochschule Joanneum, dass die ÖVP in erster Linie in Richtung FPÖ "ausrinnt". Vor allem sogenannte Modernisierungsverlierer, die der FH-Studienleiter Heinz P. Wassermann auch "Angstbeißer" nennt, gehen zu den Freiheitlichen über. Und zwar möglicherweise permanent. In den Umfragen liegt die FPÖ derzeit bei 35 Prozent und die ÖVP bei 19 bis 20 Prozent.

Welche strategisch-taktischen Konsequenzen zieht die ÖVP daraus? Sie nimmt eine konsequente Konfrontationshaltung gegenüber dem Koalitionspartner SPÖ ein. Genauer, es ist der rechte Flügel der Volkspartei um die Herren Sebastian Kurz (Außenminister), Wolfgang Sobotka (Innenminister) und Reinhold Lopatka (Klubchef), der hier fast jeden Tag in der Regierung querschießt. Der Wiener VP-Chef Gernot Blümel verbrüdert sich mit dem Wiener FP-Chef Gudenus. Dieser Flügel dominiert allerdings bereits die Volkspartei.

Die Frage ist, ob eine solche Strategie erfolgreich sein kann.

Manches ist sachlich vertretbar, anderes ist selbstdestruktiver Populismus. Die Mindestsicherung ist reformierungsbedürftig, aber die Rasenmähermethode der ÖVP ist schlecht durchdacht. In der Flüchtlingsfrage signalisiert das sture Festhalten von Sobotka an einer "Notverordnung" nur eines: Es herrscht "Notstand", wie die FPÖ ja immer gesagt hat.

Sebastian Kurz erklärt alle Augenblicke den Flüchtlingsdeal mit der Türkei für gescheitert. Die Bootsflüchtlinge sollten analog zu Australien auf (griechischen) Inseln interniert werden. Die große deutsche Wochenzeitung Die Zeit hat sich Kurz' Vorschläge vorgenommen und fragt: "Wie stellt er sich das vor? Sollen griechische und italienische Inseln zu außereuropäischen Territorien erklärt werden? Will er dort, wie etwa die Australier, riesige Internierungslager einrichten und die Flüchtlinge unter menschenverachtenden Bedingungen über Jahre festhalten?"

Ja, genau das will Kurz (zumindest sagt er es).

Bei der Bundespräsidenten-Stichwahl Ende Mai, die jetzt wiederholt werden muss, wählte die eine Hälfte der ÖVP-Wählerschaft Norbert Hofer, die andere Alexander Van der Bellen. Wenn sich nun die ÖVP immer mehr der FPÖ annähert, irritiert sie einen großen Teil ihrer Sympathisanten. Gewinnt sie genug von der FPÖ zurück?

Aber selbst wenn man der Meinung ist, dass sich die Koalition aus SPÖ und ÖVP überlebt hat – ist die Volkspartei bereit, das Anhängsel der Freiheitlichen zu spielen? 20 Prozent gegen 35 Prozent? Ist Sebastian Kurz bereit, den Vizekanzler neben Strache oder auch neben Hofer zu spielen? Diesmal werden die Freiheitlichen der ÖVP nicht den Kanzler überlassen.

Die ÖVP lässt sich zu sehr auf das Flüchtlingsthema ein, statt sich auf die Wirtschaft zu konzentrieren. Ihre Kernklientel, die kleinen Selbstständigen, fühlt sich im Stich gelassen. Angestellte und Staatsbedienstete werden von Abstiegsängsten geplagt. Die Volkspartei hat hier nichts anzubieten oder vergessen, dass sie es einmal hatte. (Hans Rauscher, 12.8.2016)