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Bertolt Brecht (li., 1898–1956) und Gottfried Benn (1886–1956): Die beiden größten Poeten deutscher Zunge querten das ideologisch verseuchte 20. Jahrhundert auf verschlungenen Wegen.

Fotos: Ullstein Bild / picturedesk.com

Wien – Respekt zollten die beiden einander zu verschiedenen Gelegenheiten. Der Tod ereilte sie jeweils überraschend. Bertolt Brecht, der berühmteste Dichter der DDR, erlag am 14. August 1956 einem chronischen Herzleiden. Heute weiß man, dass er bei sachgemäßer Behandlung noch viele Jahre hätte leben und als Theaterreformer arbeiten können.

Dem Marxisten Brecht (1898–1956) war der Skandal der Zeitlichkeit nicht recht geheuer. Die Akzeptanz des Unausweichlichen musste er sich hart erarbeiten. Berühmt seine Verse aus dem Krankenhaus Charité, als er sich ostentativ in Gelassenheit übte. Die Todesfurcht sei von ihm abgefallen: "Da ja nichts / Mir je fehlen kann, vorausgesetzt / Ich selber fehle." Von unverlierbar freund licher Anmut die darauf folgende abschließende Bemerkung: "Jetzt / Gelang es mir, mich zu freuen / Alles Amselgesanges nach mir auch."

Sein Antipode Benn starb nur wenige Wochen vor ihm. Noch im Mai des Jahres 1956 hatte er die Feierlichkeiten zu seinem 70. Geburtstag wie eine lästige Pflichtübung über sich ergehen lassen. Ein viel zu spät erkannter Knochenkrebs raffte ihn am 7. Juli des Jahres dahin. Es war derselbe Tag, an dem der Bundestag in Bonn die allgemeine Wehrpflicht per Gesetz einführte.

Zweierlei Systeme

Die Bonner "Wiederbewaffnung" gehörte zu den Tatsachen, die Brecht in Ostberlin zur fanatischen Ablehnung Westdeutschlands bewegten. Die zahllosen Anfeindungen durch das SED-Regime wogen leicht für ihn gegenüber der Überzeugung, die BRD betreibe die Fortführung des Faschismus mit anderen, lediglich vorgeschützten demokratischen Mitteln.

Benn seinerseits hatte zum Zeitpunkt seiner tödlichen Erkrankung mit der Politik im Großen und Ganzen abgeschlossen. Er hörte lieber Radio und lauschte Schlagermusik. Seine späten Gedichte verraten kaum mehr den fanatischen Formwillen, durch den sich der Sprachartist während 40 Jahren ausgezeichnet hatte. In dem Gedicht Was schlimm ist heißt es daher in bemühter, aber faszinierender Lapidarität: "Am schlimmsten: / nicht im Sommer sterben, / wenn alles hell ist / und die Erde für Spaten leicht."

Immerhin dieses Glück war Benn beschieden. Für Fragen nach der geglückten Existenz sah er sich grundsätzlich als unzuständig an. Benn pflegte von sich das lebenslange Bild des "Intellektualisten". Die (vermeintlichen) Zumutungen eines von Fortschritt und Komfort gekennzeichneten Lebens lehnte er mit der Geste des Hochmuts ab. Die Charaktermaske der Kälte ließ er sich nicht vom Gesicht herunterreißen.

Dr. Benn praktizierte als Hautarzt in Berlin. Ganz entgegen seiner Profession als praktischer Mediziner litt er unter Anwandlungen von Näheekel (wie etwa sein Biograf Helmut Lethen überzeugend nachgewiesen hat). Der Weichheit der Zivilisation glaubte er "Kälte des Denkens, Härte des Gedankens" entgegensetzen zu müssen. Man darf sich Benn als Artisten inkognito vorstellen: Am Ordinationstisch im weißen Kittel sitzend, gelegentlich Verse auf Rezeptpapier kritzelnd. Es finden sich einige der schönsten aus dem gesamten 20. Jahrhundert darunter: "O dass wir unsere Ururahnen wären / Ein Klümpchen Schleim in einem warmen Moor (…)"

Brecht seinerseits wurde an dem Tag zu Grabe gelegt (17. August), als in der BRD die KPD verboten wurde. Seine Angst vor dem Scheintod erinnert an die wunderliche Panik des großen Johann Nestroy. Ins Herz sollte ihm gestochen werden; als letzte Hülle wünschte er sich einen Metallsarg. Gelebt hatten die beiden Olympier nur wenige Kilometer Luftlinie voneinander entfernt. Benn in der Bozener Straße in Wilmersdorf, Brecht in der Chausseestraße in Mitte.

Gegen den "Anstreicher"

Ignoriert hatten die beiden einander nach Kräften. In den 1920ern hatte man noch in freundlicher Koexistenz nebeneinander gelebt. Mit Brechts Emigration zerriss auch dieses lose Band. Benn stürzte sich kopfüber in den Nazismus und lobte ohne Zwang, aus freien Stücken, die "Größe" der Hitlerei. Sein Eifer wurde ihm von der Nazi-Administration entsprechend vergolten.

Ab Mitte der 1930er-Jahre besann man sich seines Vorlebens als Expressionist. Benns Verse galten von da ab als unvölkisch und dekadent. Heinrich Himmler persönlich wendete "Schlimmstes" ab, doch Benn wurde mit Schreibverbot belegt und ging als Militärarzt nach Hannover. Brechts Flucht vor dem "Anstreicher" (sein Synonym für Hitler) führte ihn nach Nordeuropa, schließlich in die USA und nach dem Krieg zunächst in die Schweiz. Zu einem Aufenthalt in Stalins Sowjetrussland konnte sich der überzeugte Marxist nicht durchringen. Das dürfte ihm, mit Blick auf die Moskauer Prozesse und den Terror gegen einstmals "verdiente Genossen", das Leben gerettet haben.

1956 äußerte sich Brecht, der keinen Parteiausweis besaß, beim Kongress des DDR-Schriftstellerverbands in Leipzig wie folgt: "Immer noch lebt der größere Teil Deutschlands im Sumpf der bürgerlichen Barbarei, und der Sumpf steigt wieder. (…)"

Brechts kostspielige Verkleidung als Proletarier soll Benn zum Schmunzeln gebracht haben. Brechts Parteilichkeit, die auch die Katastrophe des 17. Juni 1953 überstand, als der Arbeiterprotest gegen die SED erstickt wurde, gipfelte in den berühmten höhnischen Versen der letzten Buckower Elegie: Das Volk habe sich das Vertrauen der Regierung verspielt. "Wäre es da / Nicht doch einfacher, die Regierung / Löste das Volk auf und / Wählte ein anderes?"

Ritt auf dem Tiger

In komplexer Weise verkörperten Gottfried Benn und Bertolt Brecht die deutsche Teilung. Brechts Bekenntnis zum Materialismus immunisierte ihn gegen das "Sinnangebot" der völkischen Diktatur. Demgegenüber versuchte sich Benn als Kollaborateur der Nazis, ritt den "Tiger" – und hatte alle Mühen, mit heiler Haut davonzukommen.

Brecht machte sich die marxistische Klassenlehre zu eigen. In seinen Stücken fanden jedoch alle Widersprüche ihren gebührenden Platz, derentwegen er den bürgerlichen Idealismus schroff verneinte. Benn? Blieb bis zum Schluss "Naturalist". Er hatte sich als gelernter Militär angewöhnt, "alles gleich paläontologisch und nichts soziologisch" zu sehen. Vor krassen Irrtümern blieb keiner der beiden verschont. Beide arbeiteten an der Desillusionierung des Menschen. Dem sollte die Wahrheit zugemutet werden. Die Benn’sche lautete formelhaft: "Die Krone der Schöpfung, das Schwein, der Mensch." Brecht lobte den Zweifel, aber eben auch den Kommunismus. Denn: "Er ist das Einfache / Das schwer zu machen ist." (Ronald Pohl, 13.8.2016)