Die "Instant City" von Archigram, ein Projekt aus dem Jahr 1969, sollte ein bisschen Großstadt-Feeling ins ländliche Großbritannien bringen. "Ich habe mich nie für Science-Ficton interessiert", sagt Peter Cook. "Diese Welt war meine Realität."

Bild: Deutsches Architekturmuseum

Wohnkabine mit Überblick: "Peanut" von Future Systems.

Foto: Deutsches Architekturmuseum

"Walking City" von Archigram.

Bild: Deutsches Architekturmuseum

Fliegende Filme. Audiovisuelle Spielzeuge. Ein Zeltdach, das vom Himmel hängt. Jetzt ist Glamour! Die Instant City, ein Entwurf aus dem Jahr 1969, war die Stadt, die zum Menschen kam. Wie ein Wanderzirkus sollte die mobile Polis, eingepackt in Pakete, durch Großbritannien reisen und den ländlichen Bewohnern Bildung, Freizeit und Unterhaltung bieten. Das tragbare Großstadterlebnis war als Ausgleichsmittel gedacht, denn in Zeiten sich ausbreitender Television bekamen die Menschen auch die Gewissheit darüber, dass zwischen Stadt und Land ein starkes kulturelles Gefälle existierte. Das schürte Ängste und Sehnsüchte.

"Realistisches Projekt"

"Natürlich war die Instant City als realistisches Projekt gedacht", sagt Peter Cook, Urheber der Fertigstadt, zum STANDARD. "Ich habe mich nie für Science-Fiction interessiert. Sie mögen das für naiv halten, doch diese Welt, Sie können sie nennen, wie Sie wollen, war damals meine Realität."

Gemeinsam mit David Greene, Ron Herron, Warren Chalk, Michael Webb und Dennis Crompton arbeitete Cook damals an der Reorganisation der Welt. Unter dem Namen Archigram – der Begriff ist eine Wortverschmelzung aus "architecture" und "telegram" – entstanden von 1961 bis 1974 Projekte, Konzepte und zahlreiche Publikationen. "Wir waren davon überzeugt, dass diese Zukunft realistisch ist", blickt der heute 80-jährige Londoner Architekt des Kunsthauses Graz und des Institutsgebäudes auf dem Wiener WU-Campus zurück. "Leider haben wir als Archigram nie etwas in die Realität umgesetzt. Wie gern hätte ich das alles gebaut!"

Visionäre Entwürfe

Die Instant City ist, als eines von knapp 90 Exponaten, zurzeit im Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt zu sehen. Unter dem Titel "Zukunft von gestern" werden die visionären Entwürfe der beiden Londoner Büros Archigram und Future Systems einander gegenübergestellt. Darunter finden sich auch viele Projekte, die nur eingefleischten Fans und Architekturprofis bekannt waren.

"In den Entwürfen von Archigram spiegelt sich die gesellschaftspolitische Entwicklung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wider", sagt der Politologe und Ausstellungskurator Philipp Sturm. "Daher sind die Arbeiten, auch wenn sie niemals realisiert wurden, für die Architekturgeschichte von großer Bedeutung." Nicht nur das Fernsehen, auch die Eroberung des Weltraums, des Mondes und der bislang kaum erschlossenen Gebiete der Erde, die aufkommende Popkultur, das Swinging London, die Errichtung der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs sowie der lang andauernde Kalte Krieg haben die Arbeit von Archigram geprägt.

Antwort auf den Kalten Krieg

Walking City etwa, ein Projekt aus dem Jahr 1964, kann als Antwort auf die Zerstörung der Erde durch Umweltverschmutzung und atomare Verseuchung verstanden werden. Wie ein riesiges Insekt bewegt sich eine 50-stöckige Stadt durch Wasser, Wüste und ewiges Eis. Auch Oasis, Air Hab, Capsule Tower, Underwater City und Self Destruct Environ Pole geben Einblick in die medialen Themen und in die Stimmung der Sechziger- und Siebzigerjahre. "Unbewohnbar gewordene Orte waren während des Kalten Krieges eine latente Gefahr", sagt Peter Cook. "Die neuen Wohn- und Lebensmodelle waren unsere Antwort darauf."

Während Archigram mit seinen Megastrukturen einem fast schon fatalistischen technischen Fortschritt huldigte, beschäftigte sich Future Systems mit Interventionen in meist kleinem Maßstab. Der aus der Tschechoslowakei stammende und 2009 verstorbene Emigrant Jan Kaplický arbeitete zunächst für Renzo Piano und Richard Rogers und wirkte maßgeblich am Entwurf des Centre Pompidou in Paris mit. 1979 gründete er das Londoner Büro Future Systems, das er zunächst mit David Nixon, später mit seiner Lebensgefährtin Amanda Levete leitete.

Liebe zum Schock

"Unsere Arbeit lebte von der Gegenwart und vom Moment", blickt Amanda Levete zurück. "Das Spannende war, gegen die Probleme da draußen anzukämpfen und sie zu überwinden." Zu den vielleicht typischsten Entwürfen von Future Systems zählen Bubble, Vehicle, Une petite maison und "Haus für einen Helikopterpiloten". Immer wieder werden kleine futuristische Fremdkörper – fast schon mit einer Liebe zum Schock – in wunderschöne, meist unberührte Landschaften hineingesetzt. Im "Peanut", einer erdnussförmigen Wohnkabine für zwei Personen, kann man sich, um dem Alltag im Kalten Krieg für einen Augenblick zu entkommen, auf einem hydraulischen Arm in die Luft hieven lassen. Die Collagen drücken die Sehnsucht nach einer Zukunft aus, die nie kommen wollte.

Doch sie kam. 1994 baute Future Systems die Floating Bridge in London, 1999 das Media Centre auf dem Londoner Lord's Cricket Ground und 2003 das Selfridges-Kaufhaus in Birmingham. Das war der Höhepunkt der Blob-Architektur. "Jan hat es nicht ausgehalten, die echten Bauten zu besichtigen. Bei der Eröffnung von Selfridges ist er geflohen, weil das fertige Bauwerk nicht so pur war wie der Originalentwurf", erinnert sich Amanda Levete. "Jan wäre glücklich gewesen ohne Bauen. Er wusste, dass er seinen Platz in der Geschichte sicher hatte durch seine Zeichnungen."

Experimentiert und ausgetobt

Die Ausstellung im DAM lässt den Erwachsenen noch einmal Kind sein. "Die Werke von Future Systems haben etwas Kindhaftes", so Kurator Sturm. "Sie bieten der Fantasie viel Raum und zeigen ein Denken jenseits aller Konventionen." Nicht zuletzt nehmen die Zeichnungen, Collagen und Modelle vorweg, was im Automobilbau, in der Luft- und Raumfahrt, auf Ölbohrplattformen und in Forschungsstationen in der Antarktis längst Realität geworden ist.

Genau das, meint Peter Cook, mache die Arbeit von Future Systems und Archigram auch heute noch so wertvoll. "Wir haben experimentiert, uns ausgetobt frei von allen Hemmungen. Wir waren zwar gefesselt in unseren Ängsten und Emotionen, aber im Kopf, da waren wir frei. Dieses One-Way Ticket in die Zukunft vermisse ich heute. Wir haben beschlossen, in der Gegenwart bleiben zu wollen. Das ist traurig." (Wojciech Czaja, 14.8.2016)