Der Bezirk Bani Zeid im Norden Aleppos Ende Juli, nach der Einnahme des zuvor von Rebellen gehaltenen Gebiets durch die syrische Armee. Wie andere Teile der zweitgrößten Stadt Syriens sind die Zerstörungen in Bani Zeid groß.

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Damaskus/Wien – Die Schlacht um Aleppo wurde bereits vor Wochen als "entscheidend" im syrischen Krieg bezeichnet – aber bis diese Entscheidung fällt, wird wahrscheinlich noch etliche Zeit vergehen und noch viel Blut fließen. Bis dahin ist eine Fortführung der Syrien-Diplomatie der Uno in Genf äußerst unwahrscheinlich. Die Dachorganisation der syrischen Exilopposition, die als "Hohes Verhandlungskomitee" nicht alle, aber wichtige Gruppen vertritt, hat sich zur teilweise erfolgreichen Rebellenoffensive zu Wort gemeldet: Sie beweise, dass es falsch sei, nur auf eine politische Lösung zu vertrauen. Das wird Syriens Präsident Bashar al-Assad wohl genauso sehen.

Die Rebellen haben von Idlib kommend einen Korridor in den Bezirk Ramouseh geschlagen – dabei wurden auch Selbstmordattentate eingesetzt – und damit den Belagerungsring, den die syrische Regimearmee mit Unterstützung des Radwan-Bataillons der libanesischen Hisbollah und einer irakischen Schiitenmiliz um Ostaleppo gelegt hat, durchbrochen. Durch russisches Bombardement dieses Korridors kommt jedoch laut Uno-Angaben bisher nur wenig Hilfe durch, bei weitem nicht genug, um die verbliebenen etwa 275.000 Bewohner zu versorgen. Zwei Millionen Menschen sind ohne Trinkwasser.

Laut Einschätzung von Militärexperten sollte man die Rebellengewinne, die mit großen eigenen Verlusten erkämpft wurden, nicht überschätzen. Dennoch kommt dadurch Westaleppo, das nicht von Rebellen gehalten wird, seinerseits in Belagerungsgefahr, auch wenn eine – prekäre – Versorgungsroute in den Norden offen bleibt. Im Allgemeinen unterberichtet ist, dass in Westaleppo die Bevölkerung nicht zu den Rebellen tendiert. Davon, auch diesen Teil der Stadt einzunehmen, sind sie weit entfernt. Eine entsprechende Ankündigung der Rebellen gehört eher in den PR-Bereich.

Radikalisierung

Wer sind nun "die Rebellen"? Das Washingtoner "Institute for the Study of War" schreibt plakativ, dass der Erfolg der Rebellen-Gegenoffensive einen "bedeutenden Sieg für Al-Kaida in Syrien" darstelle. Tatsächlich ist die stärkste Kraft unter dem Dach des "Jaish al-Fatah Operations Room" (Eroberungsheer) die Fatah-Front, also die ehemalige Nusra-Front, die sich ja nominell von Al-Kaida losgesagt hat, was jedoch als rein taktisch eingeschätzt wird.

Dazu kommen andere eindeutig radikal islamistische Gruppen und andere, die sich in der vergangenen Zeit radikalisiert haben, wie etwa die auch von den USA unterstützten Zengi-Brigaden. Je nach Sichtweise heißt es, sie hätten sich radikalisiert, weil die US-Hilfe nachgelassen habe beziehungsweise die US-Hilfe habe nachgelassen, weil sie sich radikalisiert hätten. Die Rebellentruppe ist etwa 10.000 Mann stark und verfügt über moderne Ausrüstung und Bewaffnung, teilweise erbeutet und teilweise von ihren staatlichen Unterstützern geliefert.

Innerhalb Ostaleppos sind die Rebellen im "Fatah Halab Operations Room" organisiert (Halab heißt Aleppo), der ebenfalls vor wenigen Tagen die Vereinigung aller Rebellen pries. Man wird hören, wer in welcher Organisation aufgeht. Stärkste Kraft ist und bleibt Nusra/Fatah.

Neuer Kommandant

Bei der syrischen Armee wurde zuletzt nachjustiert und der Oberkommandierende in Aleppo ausgetauscht. Es wird berichtet, dass die Moral besonders unter den alawitischen Soldaten schwächer ist als bei früheren Schlachten. Anders bei der libanesischen Hisbollah: Sie hat eine Elitegruppe im Einsatz. Die irakische Miliz "Harakat Hisbollah al-Nujaba" wiederum ist eine speziell für den Syrien-Krieg geschaffene Untergruppe der radikalen Iran-nahen Asaib Ahl al-Haq.

Die USA sind nun in die erwartete Zwickmühle geraten: Sie kritisieren die russischen Luftschläge und verlangen eine Kampfpause für humanitäre Zwecke. Offiziell hat Washington natürlich nicht anerkannt, dass Nusra/Fatah nichts mehr mit Al-Kaida zu tun haben will. Aber ebenso wenig können sich die USA gegen die Rebellen stellen. Mit "humanitären" Forderungen bleibt man einstweilen im Graubereich.

Das wird sich seinerseits der türkische Präsident Tayyip Erdoğan nicht leisten können, wenn er eine Normalisierung mit Russland will. In Aleppo zeigt sich jedoch, wie tief die Kluft ist: Direkt von der Türkei unterstützte Gruppen kämpfen auf Rebellenseite – und werden von Russland aus der Luft angegriffen. Dass ein Paradigmenwechsel hier schnell erfolgen könnte – Russland lässt die syrischen Kurden fallen und die Türkei die syrischen Rebellen –, zeichnet sich nicht ab. (Gudrun Harrer, 11.8.2016)