Russlands Präsident Wladimir Putin kann seinem türkischen Amtskollegen Tayyip Erdogan nicht unterstellen, dass er allein aus Frustration über den Westen, wegen dessen mangelnder Solidarität nach dem Putschversuch – so die türkische Sicht der Dinge -, seine Nähe sucht: Die Wiederannäherung Ankaras an Moskau begann bereits vor Erdogans "Geschenk Gottes", hat aber danach rasant an Fahrt aufgenommen. Die Türkei bekam aus Russland, was ihr USA und EU vorenthielten: bedingungslose Unterstützung und keine dummen Fragen nach dem Zustand der türkischen Demokratie.

Ein "Geschenk Gottes" ist der Putschversuch deshalb auch für Putin, der nie eine machtpolitische Chance auslässt. Im Falle der Türkei wird ihm jedoch das "divide et impera" nicht ausreichen, im Gegenteil, er wird ein wachsames Auge darauf haben, dass ihn Erdogan nicht nur dazu ausnützt, Nato und EU zu erpressen. Putin und Erdogan haben persönlich einiges gemeinsam, ihre autokratischen Züge, ihren Nationalismus, ihren Machismo. Aber noch mehr trennt sie – nämlich ihre Interessen – dort, wo sie sich heute gegenüberstehen: an der türkisch-syrischen Grenze.

Dass Russland einen radikalen Paradigmenwechsel in der türkischen Syrienpolitik erwartet, hat Außenminister Sergej Lawrow mit einiger Härte im Juli festgehalten: Die Entwicklung der russisch-türkischen Beziehungen werde von einer Zusammenarbeit in Syrien abhängen. Es zeichnet sich ab, dass Erdogan zu einer Kursberichtigung bereit ist, und das hat auch damit zu tun, dass seine Syrienpolitik ja geradezu katastrophal gescheitert ist: Bashar al-Assad fest im Sattel, der Terror des "Islamischen Staats" innerhalb der Türkei, eine Kurdenautonomie in Nordsyrien, und nicht mit braven konservativen Kurden wie im Irak an der Spitze, sondern mit einer Schwesterpartei der PKK.

Aber ist Erdogan zu mehr bereit als zu einer Kurskorrektur, die etwa darin bestünde, seine Grenze für Jihadisten, die von der Türkei aus in den syrischen Krieg ziehen, zu schließen? Das russische Modell für Syrien, das Assad einstweilen im Amt belassen und den eigenen russischen sowie einen beschränkten iranischen Einfluss in Syrien garantieren würde, widerspricht allem, was die Neoosmanen in den vergangenen Jahren programmatisch von sich gegeben haben: die Restauration der türkischen Hegemonie in Teilen der alten Levante.

Vielleicht sieht Erdogan seine Nahostpolitik inzwischen als derartig verfehlt an, dass er meint, nur an der Seite der Russen ein Stück vom Kuchen – Mitsprache – abzubekommen. Oder er ist tatsächlich schon so antiwestlich, dass er bereit ist zum großen geopolitischen strategischen Bruch. Interessant ist die Frage, ob dies jedoch wirklich im russischen Interesse liegen würde: Es wäre zwar ein Triumph für Putin, gleichzeitig aber das Ende des Versuchs, eine diplomatische Lösung für Syrien zu finden. Denn Russland braucht dazu die Kooperation der USA, die Einfluss auf ihre Klienten, die arabischen Golfstaaten, ausüben müssen. (Gudrun Harrer, 9.8.2016)