Beirut/Damaskus – Nachdem syrische Rebellen und mit ihnen verbündete Jihadisten nach eigenen Angaben den Belagerungsring der Regierungstruppen in Aleppo durchbrochen haben, wollen sie die ganze Stadt einnehmen. "Wir kündigen den Anfang der neuen Phase für die Befreiung von ganz Aleppo an", teilte das Bündnis Dshaish al-Fateh (Armee der Eroberung) am Sonntag in einer Erklärung mit.

Dazu solle die Zahl ihrer Kämpfer verdoppelt werden. "Wir werden nicht aufhören zu kämpfen, bis wir die Fahne der Eroberung auf der Zitadelle von Aleppo schwenken", hieß es in der Erklärung weiter. Die islamistische Miliz Ahrar al-Shham hatte zuvor im Kurznachrichtendienst Twitter erklärt, die Rebellen hätten das Viertel Ramussa im Süden Aleppos erobert und damit nach dreiwöchiger Einkesselung durch syrische Regierungstruppen den Belagerungsring durchbrochen.

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte erklärte, auch Sonntagfrüh habe es im Süden Aleppos vereinzelte Gefechte und Luftangriffe gegeben. Die oppositionsnahe Organisation beruft sich auf ein Netz von Informanten in Syrien, ihre Angaben sind nur schwer zu überprüfen.

Der Chef der Beobachtungsstelle, Rami Abdel Rahman, sprach von einem der schwersten Rückschläge für die Regierungstruppen seit Beginn des Bürgerkriegs 2011. Laut Beobachtungsstelle konnte allerdings keiner der seit Wochen in Aleppos Rebellenvierteln eingeschlossenen Zivilisten fliehen, da die von den Rebellen kontrollierte Route Richtung Südwesten "zu gefährlich und nicht abgesichert" sei. In den von syrischen Regierungstruppen gehaltenen Vierteln waren Schätzungen zufolge 1,2 Millionen Menschen eingekesselt.

Rotes Kreuz fordert dringend "humanitäre Pause" für Aleppo

Das Deutsche Rote Kreuz hat zu einer Kampfpause für humanitäre Hilfe für Aleppo gemahnt. Ein sicherer Zugang sei die Grundvoraussetzung, um den Menschen die dringend notwendigen Nahrungsmittel, Wasser und Medikamente bringen zu können, sagte der DRK-Syrien-Experte Christian Hörl am Montag im Südwestrundfunk.

Für das Rote Kreuz sei nur der Westen Aleppos, nicht aber der Osten für die Hilfe auch des syrischen Roten Halbmonds zugänglich. Am Wochenende gab es widersprüchliche Berichte dazu, ob die Belagerung des Ostteils von Aleppo durch das Regime durchbrochen worden ist. Dem Roten Kreuz lägen keine gesicherten Informationen vor, sagte Hörl. Die Lage für die eingeschlossenen Menschen habe sich in den vergangenen Stunden aber "dramatisch verschlimmert". In den belagerten Gebieten waren zuletzt bis zu 300.000 Menschen von der Außenwelt abgeschnitten.

"Die jetzige Offensive trägt natürlich nicht dazu bei, dass es den Menschen besser geht", sagte der DRK-Vertreter. Insgesamt seien mindestens 6,5 Millionen Syrer im Land vertrieben. Zwei Millionen Kinder könnten nicht in die Schule gehen. Die Versorgung der Binnenflüchtlinge sei vielerorts schwierig. So könnten 80.000 Menschen im Grenzgebiet zu Jordanien derzeit nur mit Autokränen über die Grenze hinweg versorgt werden. "Das ist ein unhaltbarer Zustand", kritisierte Hörl. (APA, 8.8.2016)