Die Reaktion Zentraleuropas auf den Zustrom von Flüchtlingen im vergangenen Jahr hätte unterschiedlicher nicht sein können. Während einige Länder in der Region ihre Grenzen öffneten, zogen andere Zäune hoch. Verpflichtende Flüchtlingsquoten wurden diskutiert und mehrheitlich abgelehnt.

Die Dublin- und Schengen-Vereinbarungen gerieten unter Druck, ebenso die europäische Solidarität. Das unzureichende Krisenmanagement der Regierungen ließ die Emotionen in der Region hochkochen. Die politische Rhetorik – zwischen Ost und West – verschärfte sich, als ob sich ein trennender Vorhang wieder niedersenken könnte. Ein fatales Zeichen für die Länder Zentraleuropas, die durch Geschichte, Kultur und Wirtschaft eng miteinander verbunden sind.

Als Mitglieder von EU und Schengen sind alle Länder der Region verpflichtet, jedes Asylansuchen zu prüfen und bei ausreichender Faktenlage auch Asyl zu gewähren. Die Bereitschaft dazu ist jedoch äußerst unterschiedlich ausgeprägt wie auch mittlerweile der Wunsch von Flüchtlingen selbst, in dieses oder jenes Land zu kommen. Gründe dafür liegen in der unterschiedlichen wirtschaftlichen Stärke, abweichenden Sozial- und Arbeitsbedingungen in den einzelnen Staaten und vor allem in ihren divergierenden Integrations- und Migrationserfahrungen.

Grenzüberschreitender Dialog

Österreich und seine Nachbarn wären daher gut beraten, einen umfassenden grenzüberschreitenden Dialog in Gang zu setzen, um mit verstärkter Kooperation die anstehenden Herausforderungen zu meistern. Polarisierende Themen – wie etwa die Frage der Flüchtlingsquoten – sollten vertagt, von Drohungen und Sanktionen Abstand genommen werden. Dagegen wäre es wichtig, übereinstimmende Bereiche zu identifizieren: Diese gibt es – etwa bei der Sicherung der EU-Außengrenzen, substanzieller Vor-Ort-Finanzhilfe in den Krisengebieten, der Notwendigkeit eines funktionierenden Schengen-Raums oder der Schaffung legaler Asylwege nach Europa.

Die Verantwortung für die Errichtung neuer, künstlicher Grenzzäune in der Region liegt jedoch nicht nur bei den Regierungen allein. Im Verlauf der Krise haben Politiker auch auf öffentlichen Druck reagiert bzw. die Legitimität ihrer Handlungen mit dem allgemeinen Stimmungsbild begründet. Daher spielt auch die Zivilgesellschaft eine zentrale Rolle.

Vielfach unbemerkt von der öffentlichen Wahrnehmung leistete diese in allen zentraleuropäischen Ländern ihren Beitrag, um einen humanitären Ansatz im Umgang mit der Flüchtlingsfrage zu befördern und konkrete Hilfe vor Ort zu leisten. Es gelang ihr aber kaum, eine breitenwirksame und konsistente "Gegenerzählung" zur veröffentlichten Meinung mit ihren vielfach vereinfachten politischen Botschaften zu kreieren.

Neue Partner suchen

Die zivilgesellschaftlichen Akteure in der Region sollten daraus ihre Schlüsse ziehen, Partner jenseits nationaler Grenzen ansprechen und diese zur Zusammenarbeit motivieren.

Sie sollten sich weit stärker als bisher in der öffentlichen Debatte engagieren, auf Basis ihrer Expertise zu einem nuancierteren Bild beitragen und die verbreitete Angst vor dem Unbekannten mindern helfen. Die Zivilgesellschaft muss eine "Gegenerzählung" entwickeln, die nicht nur auf Sicherheitsaspekten beruht, sondern die Komplexität des Themas erklärt.

Allerdings gelten zivilgesellschaftliche und sogar auch internationale Organisationen vielfach oft als parteiisch und befangen. "Public champions" – wie etwa Journalisten, Künstler und weitere Meinungsbildner – könnten jedoch sehr wohl ein Gegengewicht zu populistischen Diskursen schaffen. Österreich könnte hierbei mit dem Modell der – aus allen Bereichen der Gesellschaft stammenden – Integrationsbotschafter als Vorbild dienen. Aber auch innovative, intergouvernementale Ansätze sind gefragt: So nimmt etwa die Slowakei in Gabcíkovo bis zu 500 Asylwerber, die in Österreich um Schutz angesucht haben, für die Dauer der Bearbeitung ihres Antrags auf.

Journalistischer Austausch und Best-Practice-Beispiele

Die Lösungsansätze von Regierungen und Zivilgesellschaft verlaufen in letzter Zeit jedoch immer gegensätzlicher, obwohl ein Zusammenwirken in beiderseitigem Interesse wäre. NGOs sollten sich den jeweiligen Regierungen als Partner anbieten und den Mehrwert zivilgesellschaftlichen Engagements für das öffentliche Interesse betonen. Um die Chancen auf einen konstruktiven Dialog zu erhöhen, müssen "windows of opportunity" rechtzeitig genützt werden. In der Slowakei etwa der aktuelle Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft.

Mainstreammedien haben in der Flüchtlingsdebatte ebenso wenig zu einer differenzierten Berichterstattung beigetragen. Ein grenzüberschreitender journalistischer Austausch und Best-Practice-Beispiele könnten auch hier helfen, neue Perspektiven wahrzunehmen.

So entschlossen sich etwa slowenische Gemeinden unmittelbar nach einem TV-Bericht über erfolgreiche Integration in Österreich dazu, Flüchtlinge aufzunehmen. Journalisten sollten zudem ermutigt werden, einer balancierteren Sicht Raum zu geben und das Thema sowohl aus der Perspektive einer Risiken-, aber eben auch einer Chancenanalyse zu behandeln. So etwa im Fall von Tschechien, welches EU-weit über die derzeit geringste Arbeitslosigkeit verfügt und eigentlich einen hohen Arbeitskräftebedarf hätte.

Negativimage korrigieren

Zentraleuropa wird in der öffentlichen Meinung in Europa zunehmend als unkooperativer Staatenblock wahrgenommen. Ein Negativimage, das auf andere Bereiche der europäischen Politik überzugreifen droht. Eine Schwarz-Weiß-Sicht ist jedoch wenig gerechtfertigt. Viel eher zutreffend wäre es, die verschiedenen Grautöne zu definieren und die unterschiedliche Motivlage in den einzelnen Ländern stärker zu berücksichtigen.

Wir müssen verstärkt daran arbeiten, gesellschaftliche Veränderungen zu unterstützen – unabhängig vom zeitweilig eindimensionalen und populistischen Handeln der jeweiligen Regierungen. Schließlich stellt die Flüchtlings- und Migrationsfrage eine nachhaltige und grenzüberschreitende Herausforderung dar, die nicht durch Konfrontation, sondern nur gemeinsam angegangen werden kann. (Gabi Gobl, Christian Kvorning Lassen, Marko Lovec, Milan Nic, Paul Schmidt, 7.8.2016)