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Galt einmal als Konsenspolitiker: der türkische Außenminister und Ex-Europaratspräsident Çavusoglu.

Foto: Reuters / Faisal Mahmood

Ankara/Wien – Seit neuestem trägt auch er einen Schnauzer, was als Ausweis der Loyalität gegenüber dem Staatspräsidenten in diesen unruhigen Zeiten gilt und noch mehr ins Gewicht fällt bei einem Mann wie Mevlüt Çavusoglu, der von der vergleichsweise liberal gesinnten Mittelmeerküste stammt. Solchermaßen justiert, holte der türkische Außenminister am Freitagvormittag zu einem in dieser Form noch nicht dagewesenen Rundumschlag gegen Österreich und die EU aus.

"Heute ist Österreich die Hauptstadt des radikalen Rassismus", sagte Çavusoglu in einem Interview mit dem in der Türkei wenig verfolgten regierungsnahen Nachrichtensender TGRT; mit "Hauptstadt" wollte der Außenminister wohl sagen: das "Zentrum des Rassismus". Kritik der Europäer an der Politik der konservativ-islamischen Regierung, insbesondere an der Beschneidung der Meinungsfreiheit und der Aufweichung der Gewaltenteilung im türkischen Staat, weist Ankara mittlerweile regelmäßig als Islamfeindlichkeit und Ausdruck einer rassistischen Einstellung gegen die Türken zurück.

Hässlich und hässlicher

Von den Aussagen von Bundeskanzler Christian Kern sei "eine hässlicher als die andere", fuhr der türkische Außenminister in dem Studiointerview fort. Über die österreichischen Regierungspolitiker sagte er: "Was noch hässlicher ist: Sie nennen unser Volk, das türkische Volk, das in Österreich lebt, radikal. Vor allem lügen sie. Ich sage es offen."

Çavusoglu reagierte damit auf den Streit über die Pro-Erdogan-Demonstrationen in Wien, vor allem aber auf Kerns Vorstoß, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beenden.

Thema des 45-minütigen Interviews war, wie der Moderator von TGRT ankündigte, die "falsche Sichtweise der Europäischen Union" auf den gescheiterten Putsch vom 15. Juli. Die Attacken auf Kern nahmen dabei nur einen kleinen Raum ein. Europa sei nicht erfolgreich, erklärte Çavusoglu; welche Rolle es in der Welt spielen wolle, wisse es nicht. Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus nähmen zu, der Hass richte sich gegen alles, behauptete der türkische Außenminister. Den Platz in der Politik nähmen dafür Populisten ein, sagte Çavusoglu und meinte damit wohl auch den österreichischen Bundeskanzler.

In Deutschland gebe es keine Pressefreiheit, alle Zeitungen hätten dieselben Schlagzeilen, was auf einen Kontrollmechanismus zurückzuführen sei, erklärte der türkische Außenminister den Zuschauern. Die Türkei aber brauche nach dem Widerstand der Bürger gegen die Putschisten keine Lehren mehr von den Europäern, sagte Çavusoglu: "Von nun an können sie uns keine Demokratielektion mehr erteilen."

"Arrogante Antwort"

Çavusoglus Äußerungen fanden am Freitag kaum Widerhall in den türkischen Medien. Dafür wurde die kurze Replik seines österreichischen Amtskollegen Sebastian Kurz als "arrogante Antwort" sogleich in den türkischen Nachrichtenportalen verbreitet. Die Türkei solle lieber ihre Hausaufgaben machen, sagte Kurz mit Blick auf die Menschenrechtslage und die Auflagen für die Visaliberalisierung.

Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu verbreitete am Freitag eine Grafik, die das Netzwerk des Predigers Fethullah Gülen in Österreich zeigen soll. Gülen wird von der türkischen Regierung als Urheber des Putschs angeklagt. Mit der Grafik dürfte die Nachrichtenagentur auch suggerieren wollen, dass Gülen durch seine Schulen und die Unterstützung von Kirchenrestaurierungen die öffentliche Meinung in Österreich gegen die offizielle Türkei beeinflusse. Numan Gülen, der Sohn eines Onkels des "Terroristenkopfs" Fethullah Gülen, befände sich zudem in Österreich.

In der Türkei geht indes die Jagd auf angebliche Gülen-Unterstützer weiter. Unter den neu Festgenommenen war am Freitag auch Atalay Demirci, ein populärer Schauspieler. (Markus Bernath, 5.8.2016)