Sophie Karmasin ist Ministerin für Familie und Jugend. Sie wurde als Aushängeschild für ein moderneres Frauenbild in der ÖVP geholt. Die Unterstützung in der Partei ist gering.

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Für 85,6 Prozent der Eltern ist es wichtig, dass ihren Kindern in der Nachmittagsbetreuung ein Mittagessen angeboten wird. Drei Prozent der Kinder, die am Nachmittag in der Schule betreut werden, sind mit dem Mittagessen unzufrieden.

Das sind nur zwei der Erkenntnisse, die sich in einer der vielen Studien finden, die vom Familienministerium in Auftrag gegeben wurden. Ministerin Sophie Karmasin hat eine Vorliebe für Umfragen. Kein Wunder, schließlich ist die Quereinsteigerin Tochter von Fritz und Helene Karmasin, die als die Pioniere der Markt- und Meinungsforschung in Österreich gelten. Sophie Karmasin selbst war bis zu ihrem Einstieg in die Politik im Dezember 2013 Geschäftsführerin der Karmasin Motivforschung.

Vor allem im Sommer häufen sich die Präsentationen von Umfragen. Allein im Juni und Juli waren es fünf. Seit ihrem Amtsantritt hat die Ministerin an die 30 Studien und Umfragen veröffentlicht. In den Jahren 2014 und 2015 lagen die Kosten dafür laut einer parlamentarischen Anfragebeantwortung bei 345.000 Euro.

Innerhalb der ÖVP, auf deren Ticket die Ministerin sitzt, wird das nicht nur positiv gesehen. "Das ist nichts als eine PR-Show. Inhaltlich bringt sie nichts weiter", sagt ein Partei-Insider, der nicht genannt werden will.

Banal, aber zentral

Karmasin selbst bezeichnet den Zweck ihrer Studien als "evidence based policy". "Es ist wichtig, sich auf die faktenbasierte Grundlage zu verständigen und dann seriös abzuleiten, was es jetzt braucht." Dafür seien die Ergebnisse von Umfragen wesentlich. So sei etwa für Nachmittagsbetreuung eben auch das Thema Mittagessen relevant. "Dass das Mittagessen schmeckt, ist eine banale, aber zentrale Frage."

Das Familienministerium ist – abgesehen vom ans Gesundheitsministerium angedockte Frauenressort – mit nur einer Sektion das kleinste in der Bundesregierung. Nach der Nationalratswahl 2013 wurde erstmals seit 1994 wieder ein eigenständiges Familienministerium geschaffen. Der damalige ÖVP-Chef Michael Spindelegger holte dafür Karmasin als Parteifreie in die Bundesregierung.

Der Grund war vor allem ein symbolischer, und zwar in doppelter Hinsicht: Einerseits wollte die Volkspartei wieder stärker ihr Image als Familienpartei pflegen. Andererseits galt es, den Neos etwas entgegenzusetzen. Die Pinken waren in den Nationalrat eingezogen, und da kam eine urbane Unternehmerin im ÖVP-Team gerade recht.

Allerdings ist auch der Einfluss der Familienministerin eher im symbolischen Bereich angesiedelt. Das Budget ist mit sieben Milliarden zwar relativ hoch, der bei weitem größte Teil davon fließt allerdings in den Familienlastenausgleichsfonds (Flaf), aus dem Kindergeld, Familienbeihilfe und Schulbücher finanziert werden. Der Spielraum ist sehr gering: Die Verschuldung des Flaf wird Ende 2016 voraussichtlich bei mehr als zwei Milliarden Euro liegen.

Trotzdem sei ein eigenständiges Familienministerium wichtig, sagt Maria Rauch-Kallat (ÖVP), die von 1992 bis 1994 als Umweltministerin auch für die Familie zuständig war. Karmasin agiere "ambitioniert und sehr engagiert". Auch wenn der Handlungsspielraum nicht groß sei, könne man als Familienministerin Bewusstsein schaffen.

Selbst wenn Karmasins Kompetenzen nicht weitreichend sind: "Die ÖVP braucht jemanden wie sie wie einen Bissen Brot", sagt ein ÖVP-Politiker zum STANDARD, der ebenfalls anonym bleiben will. Die schwarze Ministerriege, der ansonsten nur Männer angehören, die zum größten Teil auf der parteipolitischen Karriereleiter hochgeklettert sind, sieht mit einer Ministerin Karmasin zumindest etwas bunter aus.

Ablösekandidatin

Das dürfte auch der Grund sein, warum Karmasin immer noch im Amt ist. Eigentlich plante ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner mit dem Abgang von Ex-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner nach Niederösterreich eine größere Regierungsumbildung, zu der es schlussendlich doch nicht gekommen ist. Auf der Liste der Ablösekandidaten stand auch Karmasin.

"Ihr fehlt das politische Gespür komplett", heißt es aus Parteikreisen. Allerdings bräuchte Karmasin auch öfter die Unterstützung ihrer männlichen Kollegen, um Reformen durchzubringen, und die bleibt ihr verwehrt. Die bereits angekündigte Entschuldung des Flaf musste sie wieder auf Eis legen, nachdem die Regierungsspitze beschlossen hatte, dass die Arbeitgeber ab 2017 weniger Geld in den Fonds einzahlen müssen. Ihr blieb nur übrig, eine Arbeitsgruppe einzurichten, die bis Ende des Jahres Vorschläge erarbeiten soll.

In ein Fettnäpfchen trat die Ministerin jedenfalls bei der Reform des Kinderbetreuungsgeldes. Karmasin erklärte nach fast zwei Jahren die Verhandlungen mit der damaligen Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) für "gestorben". Parteichef Mitterlehner pfiff sie zurück.

Herausgekommen ist dann doch noch das bisher wichtigste Projekt der Familienministerin. Aus vier Pauschalmodellen wurde ein flexibles Kindergeldkonto, bei dem die Eltern die Bezugsdauer frei entscheiden können. Die einkommensabhängige Variante bleibt bestehen. Wenn sich Vater und Mutter die Betreuungsarbeit teilen, gibt es einen Partnerschaftsbonus von tausend Euro. "Ich habe für den Partnerschaftsbonus gekämpft. Das wurde von mir initiiert", sagt Karmasin.

Familienfreundlichkeit als Wettbewerbsfaktor

Die Familienministerin hat unter anderem aufgrund dieses Erfolgs auch kein Verständnis für jene, die meinen, dass ein eigenständiges Familienministerium nicht notwendig sei. "Es kommt nicht auf die Zahl der Beamten an, sondern auf die Relevanz des Themas für das Land." Es stehe außer Zweifel, dass die Familienfreundlichkeit eines Landes ein Wettbewerbsfaktor sei. "Ich würde eher behaupten, das Ressort muss zusätzliche Kompetenzen bekommen." Auf ihrer Wunschliste steht das Frauenressort. "Das wäre eine schöne Ergänzung." Derzeit liegen diese Agenden bei der SPÖ.

Bei den Themen Kindergarten und Jugend, für die Karmasin auch zuständig ist, liegen die Kompetenzen eigentlich bei den Ländern. Ohne deren Zustimmung geht gar nichts.

Zwar sind die zuständigen Landesräte voll des Lobes für die Ministerin. Die Zusammenarbeit sei gut, und Karmasin sei stets erreichbar, sagt Barbara Schwarz (ÖVP) in Niederösterreich. Auch Thomas Stelzer (ÖVP) aus Oberösterreich betont das "sehr gute Gesprächsklima".

Trotzdem durchkreuzt Stelzer Karmasins Pläne. Den Bildungskompass, bei dem laut Karmasins Plänen die Entwicklung von Kindern ab 3,5 Jahren im Kindergarten dokumentiert werden soll, will Oberösterreich in einem eigenen Modell durchführen. Als "Zwischenschießen" will Stelzer das trotzdem nicht verstanden wissen. Man habe eben nicht auf den Entwurf des Bundes warten wollen.

Unter den Kindergartenpädagogen hat Karmasin wenige Freunde. Heidemarie Lex-Nalis von der Elementarpädagogik-Plattform Educare sagt über die Ministerin: "Sie kennt den Kindergartenbereich nicht." Im Gegensatz zu früheren Staatssekretärinnen kooperiere Karmasin kaum mit Leuten aus der Praxis. Vor den Kopf gestoßen hat die Familienministerin die Community, als sie erklärte, dass Kindergartenpädagogen keine akademische Ausbildung bräuchten. "Sie will medial punkten, aber wenn man an der Oberfläche kratzt und nachfragt, ist da nichts dahinter", sagt Lex-Nalis.

Im "Wertekorsett"

Karmasin ist nach wie vor parteifreies Regierungsmitglied. Der ÖVP ist sie nie beigetreten. "Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die Meinungsforschung im Blut hat. Da war Neutralität das allerwichtigste Prinzip. Nichtsdestotrotz bin ich natürlich im Wertekorsett der ÖVP zu Hause", sagt sie. Auch wenn ihr nicht viel Rückhalt innerhalb der Partei nachgesagt wird, die Familienministerin ist überzeugt, bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt zu bleiben. "Ich habe keinerlei Signale, dass hier etwas zu verändern wäre." Schließlich habe sie schon viel umgesetzt.

Noch hat die Ministerin auch keine Pläne für die Zeit nach der Politik. "Ich bin sehr selbstbewusst und positiv, dass ich mir dann in der Sekunde überlegen kann, was ich weitermache." (Lisa Kogelnik, 7.8.2016)