Ökonomen, die mit ihren Wachstumsprognosen daneben liegen, können sich gegen Kritik absichern. Hält sich die Realität nicht an die von ihnen publizierten Vorhersagen, können sie die Zahlen sukzessive und meist anpassen. So fällt es weniger auf, dass sie sich geirrt haben.
Beim Brexit ist das anders. Der geplante Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU ist ein einmaliges Ereignis, eine Zäsur. Viele Volkswirte haben für den Fall, dass die Briten wirklich die Union verlassen, eine Rezession vorhergesagt: Wie viel die Expertenmodelle taugen, werden die Menschen genau beobachten können.
Der Ökonom David Miles von der Imperial College Business School in London hat auf der Website voxeu.org nun ein spannendes Papier veröffentlicht, in dem er nachzuweisen versucht, dass seine Zunft (er selbst eingeschlossen) anstelle von Berechnungen genauso gut hätte würfeln können.
Entscheidend für Wohlstand
Denn entscheidend für den künftigen Wohlstand des Landes sei, wie sich die Produktivität der Unternehmen weiterentwickeln wird, schreibt Miles. Genau darüber könnten Ökonomen aber nichts sagen, behauptet der Proffessor – weil sie schon für die Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit keine Erklärung haben.
Miles spricht damit das britische Produktivitätsmysterium ("productivity puzzle") an. In puncto Leistungsfähigkeit der Firmen hinkt das Vereinigte Königreich anderen Industriestaaten hinterher. Seit 2007 stagniert die Stundenproduktivität komplett oder war sogar leicht rückläufig. Diese Entwicklung war unter den größten sieben Volkswirtschaften der Welt nur in Japan miserabler. Die britische Stundenproduktivität liegt heute um 15 Prozent niedriger, als man vor Krisenausbruch erwartet hat. Selbst in Japan ist diese Kluft kleiner.
Schwach auf der Insel
Mit Produktivität messen Ökonomen, wie viele Güter und Dienstleistungen in einer Arbeitsstunde erzeugt werden. Für Volkswirte wie Nobelpreisträger Paul Krugman ist Produktivität die wichtigste Kennzahl für die Wohlstandsentwicklung.
Großbritannien hat demnach ein Problem. Experten sind uneins, warum Unternehmen auf der Insel so schwach abschneiden. Manche Ökonomen machen mangelnde staatliche Investitionen in Bildung und Infrastruktur verantwortlich. Andere sehen die Schuld in der Deindustrialisierung. Die Bedeutung der Industrie hat im Vereinigten Königreich in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen. In der City of London spielt heute die (Finanz-)Musik. Und Effizienz lässt sich in einem Industriebetrieb halt meist leichter steigern als in einer Bank.
Doch gegen diese Thesen gibt es Widerspruch. Staatsausgaben wurden in vielen Ländern ohne solch dramatische Effekte reduziert. Die Bank of England hat das Phänomen von dutzenden Experten untersuchen lassen, schreibt Miles – ohne eindeutiges Ergebnis. Auch die Versuche der Regierung, die Produktivität zu steigern, blieben fruchtlos. Es ist schwer, die richtige Antwort zu geben, wenn man die Frage nicht kennt. (András Szigetvari, 5.8.2016)