Als eine zur Festspielzeit in gleißendes Licht getauchte Stadt zeichnet Georg Jung Salzburg: "Die Festspielauffahrt" (1929).

Foto: Bildrecht, Wien

Salzburg – "Wie weißer Schaum inmitten einer grünen Flut die kleine uralte Stadt". Mehr als Naturereignis denn als urbanes Gebilde, so beschrieb nicht nur Stefan Zweig Salzburg, "die kleine Stadt, in der sich die ganze Welt trifft." Im Festspiel-Almanach 1925 schwärmte er zugleich: "Hier müssen nicht Kulissen aus Pappe und Leinwand mühsam herangeschoben werden, um theatralischen Schein zu erzeugen, hier ist Gasse und Hof, Kirche und Landschaft selbst eine lebendige Kulisse und bewegter Rahmen."

Es sind mächtige und auch bildgewaltige Konstrukte, die Salzburg seit dem Beginn des Tourismus Mitte des 19. Jahrhunderts übergestülpt wurden: vom "deutschen Rom" über die "Mozartstadt" bis zur "steingewordenen Musik". Die historische Architektur, perfekt eingebettet in die Natur der Berge, mit dem über allem schwebenden Festungsschiff war von jener symbiotischen Substanz, die etwa Maler und Literaten die Romantik, Idylle und die Schönheit des Erhabenen beschwören ließ. In der einstigen Stadt der Fürsterzbischöfe, die vor genau 200 Jahren zu Österreich kam, ließ sich etwa vortrefflich die Reformation fliehen oder die Aufklärung vergessen.

Das Rückwärtsgewandte solcher Zuschreibungen kann lästig, aber auch einträglich sein. Wie am Image des Reiseziels Salzburg über die Jahrhunderte gebaut wurde oder dass etwa Bemühungen um eine Modernisierung der von Hofmannsthal kulturkonservativ erdachten Festspiele von höchster Staatsinstanz gerüffelt wurden (Gerard Mortier von Thomas Klestil), darüber hat Robert Hoffmann 2002 ein erhellendes Buch geschrieben: Mythos Salzburg.

Fast scheint es so, als würde man auf dem Salzburger Mönchsberg nun an dieses Bändchen anschließen, ist doch die Ausstellung Anti:modern vor allem ein reich bebildeter historischer Abriss der letzten gut hundert Jahre. Im Museum der Moderne interessiert Direktorin Sabine Breitwieser die Frage, ob die Stadt wirklich so konservativ ist wie ihr Ruf. Ja, ist es tatsächlich so ein "Eldorado der Antimoderne", wie es der Stimmungsbildermaler Max Pfeiffer Watenphul genoss; er sah Salzburg als Alternative zur Italianità.

Gegendynamik gesucht

Der Suche nach Spuren einer antikonservativen Gegendynamik, wie der Gründung der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik 1922, Isadora Duncans Tanzakademie 1925 oder der Sommerakademie 1953, nimmt man aber gleich einmal den Schwung – und zwar im Versuch der Begriffsklärung: Was ist die Moderne? Schneller als man verstehen kann, spuckt eine Projektion Wortspenden aus – von Walter Benjamin bis Bruno Latour: Als Kraft, die sich "die Antike anverwandelt" hat, beschrieb sie der eine, der andere behauptete: "Wir sind nie modern gewesen".

Konturierter wirkt der Moderne-Begriff, auf den man Salzburg abklopfen will, dadurch nicht. Und so hat man für die folgende, über zwei Geschoße führende Tour, die für eine Ausstellungsserie gereicht hätte, ein eher stumpfes Werkzeug in der Hand; es beim umgangssprachlichen "modern", als Synonym für Fortschrittlichkeit in technischen, ökonomischen, kulturellen und sozialen Belangen, zu belassen reicht auch. Ein Film zeigt, wie im Manhattan der frühen 20er-Jahre die Hochhäuser in die Luft wachsen, daneben illustriert Sinfonie der Großstadt (1927) die Taktung des modernen Lebens, aus Salzburg ist Dokumentarisches zum Bau des Kapruner Tauernkraftwerks und der Großglockner-Hochalpenstraße zu sehen.

Ab 1893 musste man aus Wien mit dem Zug kommend auch in Salzburg die Uhren nicht mehr 13 Minuten zurückstellen: Mit der Einführung der mitteleuropäischen Zeit hatte man die Voraussetzung für modernen Handel und moderne Industrie geschaffen, aber auch zur Normierung von Arbeit.

Dass die kapitalistische Moderne auch die Voraussetzungen für den Kolonialismus schuf, ist eine nicht wirklich ausformulierte These der Schau. Die statistischen Schaubilder von Alice Creischer und Andreas Siekmann haben solche globalen Ungleichverhältnisse im Blick – allerdings liefern deren Beispiele keine Erkenntnisse über Salzburg; unter dieser Ferne leiden auch andere Gegenwartskunstbeispiele. Bilder sprechen, heißt es. Hier ersetzen Kunst und Materialien allerdings keine Argumente. Zu suchen sind diese im begleitenden Essayband. Erkenntnisse liefert – wie erwähnt – aber auch Mythos Salzburg. (Anne Katrin Feßler, 4.8.2016)