Die Regierung in Sarajevo wartet auf den Fragebogen der EU-Kommission

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Manchmal erinnert bosnische Politiker an "Mensch ärgere Dich nicht". Wer eine gegnerische Figur schlagen kann, muss dies quasi tun. Da sich in Bosnien-Herzegowina mit seinem komplizierten Verfassungssystem dauernd verschiedenste Konstellationen ergeben, indem man die Chance hat, jemanden zu schlagen, kommen die Spieler ewig nicht ins Ziel – sondern schlagen ihre Gegner.

Am Sonntag trafen sich der Chef der größten bosniakischen Partei SDA, Bakir Izetbegović und der Chef der größten serbischen Partei in Bosnien-Herzegowina, der SNSD, Milorad Dodik und einigten sich auf den sogenannten Koordinierungs-Mechanismus, der künftig bei allen Verhandlungen mit der EU angewandt werden sollte.

IWF-Hilfe benötigt

Der Mechanismus soll regeln, welche Institutionen im vielschichtigen politischen System des kleinen Staates konsultiert werden müssen, um mit gemeinsamer Stimme mit der EU zu kommunizieren. Die Einigung war die Grundvoraussetzung, dass der Premier der Föderation – also des größeren Landesteils von Bosnien-Herzegowina – Fadil Novalić und der bosnische Ministerpräsident Denis Zvizdić dem Internationalen Währungsfonds (IWF) eine Absichtserklärung schicken, um einen Kredit zu bekommen. Ohne die Hilfe des IWF würden beide Staatsteile und der Gesamtstaat Pleite gehen.

Der IWF hatte im Juli einen neuerlichen Kredit über 550 Millionen Euro verschoben, weil Novalić und Zvizdić die Absichtserklärung nicht unterschrieben hatten. Der IWF-Deal war so brennend wichtig geworden, nachdem ein früherer Kredit ausgelaufen war, weil die bosnischen Politikern – wie so oft – die vereinbarten Reformen nicht umgesetzt hatten. Der Koordinierungsmechanismus und der IWF-Deal haben eigentlich nichts miteinander zu tun. Doch, wie so oft in Bosnien-Herzegowina, nutzten auch diesmal die Politiker ein Thema, in dem sie es mit einem anderen Thema verschränkten, um für die jeweils eigene Position einen Gewinn zu verbuchen.

Die Frage: "Was ist da für mich drin?", begleitet praktisch jede politische Entscheidungsfindung. In jedem Deal in dem kleinen Balkan-Staat stecken also andere Deals und ganz oft führt das zur Blockade. Das Spiel geht so lange, bis so viele politische Fragen vermengt wurden, bis gar nichts mehr zu lösen ist oder bis sich das Ganze wieder entknotet. Dem Streit um den Koordinierungsmechanismus, ging etwa ein Streit um die Anpassung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens (SAA) mit der EU voran.

Umstrittenes Handelsabkommen

Dodik hatte zunächst die Zustimmung zur Anpassung des SAA verweigert, weil es Befürchtungen gab, dass Bosnien-Herzegowina durch das Handelsabkommen mit der EU in der Landwirtschaft Einbussen erleiden könnte. Der deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt musste im Juli deshalb nach Bosnien-Herzegowina eingeflogen werden.

Er versprach erstens, dass die Weltbank eine Studie über die Auswirkungen des EU-Abkommens mit Bosnien-Herzegowina erstellen würde und Deutschland versuchen würde, mögliche Ausfälle zu kompensieren. Erst nach einem halben Jahr Verhandlungen wurde dann das Abkommen angepasst.

Bisher ist völlig unklar, welche Auswirkungen das SAA-Abkommen für Bosnien-Herzegowina tatsächlich haben wird. Das hinderte lokale Politiker aber nicht daran, Ängste zu schüren. Die EU hatte zuletzt die Handelspräferenzen für Bosnien-Herzegowina im Jänner 2016 ausgesetzt, um Bosnien-Herzegowina dazu zu bringen, die Anpassung vorzunehmen. Diese Strategie hatte allerdings nicht gefruchtet.

Schmidts Intervention zeigt, dass Deutschland zuweilen eine Rolle übernimmt, die eigentlich der EU zukommen müsste. Die Debatte um die Anpassung des SAA war übrigens zuvor mit einer völlig anderen Angelegenheit in Verbindung gebracht worden, nämlich der Veröffentlichung der Resultate des Zensus. Der Landesteil Republika Srpska (RS) war sauer, weil ohne ihren Willen die Daten – nach drei Jahren (sic!) – veröffentlicht worden waren. Vergangenes Wochenende sprang nun die EU ein, um wenigstens die Kredit-Frage zu lösen.

Entscheidungen im Konsens

Im Beisein des EU-Sondergesandten Lars-Gunnar Wigemark wurde in Ost-Sarajevo – dem Teil von Sarajevo, in dem mehrheitlich Serben leben – der Koordinierungs-Mechanismus "definiert". Vereinbart wurde, dass die Entscheidungen im Konsens fallen müssen und die Institutionen bei den Treffen zur Koordinierung anwesend sein müssen. Weiters sollen die Entscheidungen von höheren Ebenen, sowie den Regierungen der beiden Staatsteile, der Föderation und der Republika Srpska (RS) nochmals überprüft werden.

Das Problem an dem Deal ist allerdings, dass dieser ohne den Chef der größten kroatischen Partei Dragan Čović gemacht wurde. Čović, der seit Jahren für einen dritten Landesteil für die bosnischen Kroaten kämpft, meinte, die letzte Fassung des Koordinierungsmechanismus sei nicht akzeptabel. Čović will, dass die drei Kantone, in der Kroaten in der Föderation die Mehrheit stellen, mehr Einfluss bekommen. Dies wäre ein Schritt Richtung dritter Entität. Insgesamt hat die Föderation zehn Kantone.

Es ist also alles andere als sicher, dass der Deal hält. Adi Ćerimagić vom Think Tank European Stability Initiative (ESI) meint: "Das einzige Ergebnis vom Sonntag ist, dass die Absichtserklärung an den IWF nach Washington geschickt wurde." Ćerimagić kritisiert, dass im Jahr 2012 der Koordinierungsmechanismus von der EU als Bedingung für Bosnien-Herzegowina überhaupt eingeführt wurde. "In keinem anderen Beitrittswerberstaat hat die EU nach einem "Koordinierungsmechanismus" gefragt, wenn es den Fragebogen versandte. Es ging um den Inhalt und die Qualität der Antworten. Die EU sollte dasselbe mit Bosnien machen."

Ćerimagić ist überzeugt, dass die Koordinierung auf der praktischen Ebene auch ohne niedergeschriebenen Mechanismus funktionieren würde. "Die Geschichte zwischen Bosnien und der EU zeigt klar, dass die Bosnier sich koordinieren können, wenn etwas Wichtiges zu entscheiden ist. Wir haben das 2005/2006 bei dem Assoziierungsabkommen gesehen und 2009/2010, als es um die Visaliberalisierung ging."

EU prüft Gesetzgebung

Der Fragebogen der EU-Kommission – der nächste Schritt in der Annäherung – sollte im Herbst nach dem Treffen der EU-Staats-und Regierungschefs versandt werden. Mit diesem Fragebogen will die Kommission anhand von genauen Daten, die von Bosnien-Herzegowina geliefert werden müssen, herausfinden, inwieweit die Gesetzgebung an die EU-Standards angeglichen ist.

Bei einem weiteren Konflikt zwischen Vertretern der Bosniaken und der Serben geht es um die Abhaltung eines Referendums in der Republika Sprska (RS) am 25. September. Der Gründungsfeiertag der RS wird jedes Jahr am 9. Jänner abgehalten. Die Republika Srpska will das weiter so tun, doch der bosnische Verfassungsgerichtshof hat im November 2015 geurteilt, dass die Abhaltung des Feiertags die Nicht-Serben in der RS diskriminiere, weil der RS-Feiertag auch ein orthodoxer Feiertag ist.

In der Republika Srpska leben auch Bosniaken und Kroaten, die sich mit diesem Feiertag – und übrigens auch nicht mit der RS – identifizieren können. Vertreter der Bosniaken fordern nun vom Hohen Repräsentanten Valentin Inzko, dass er das Referendum stoppt. Die ganze Angelegenheit hat mit dem Wahlkampf in Bosnien-Herzegowina zu tun. Am 2. Oktober finden Lokalwahlen statt und die ethno-nationalistischen Themen ziehen in Bosnien-Herzegowina am meisten. (Adelheid Wölfl, 4.8.2016)