Thomas hat Nina hintergangen. Er hatte über mehrere Monate eine Affäre mit einer anderen. Sie will sich scheiden lassen. Um Unterhalt, Vermögensaufteilung und Besuchsrecht nicht vor dem Richter ausfechten zu müssen, gehen beide zur Mediation. Hier zeigt sich: Die Beziehung ist schon die vergangenen sieben Jahre auf einer schiefen Bahn. Der Seitensprung war Folge einer jahrelangen zerrütteten Beziehung.

So beschreibt Marie-Christine Pranter einen typischen Fall in ihrer Praxis. Sie ist Mediatorin und berät Paare vor Scheidungen und Trennungen. "Viele machen nach außen hin noch mit, haben innerlich aber schon abgeschlossen", sagt sie. Viele Ehepartner ziehen heute rascher einen Schlussstrich unter die Ehe als früher. Nach zehn Jahren ist in Österreich jede vierte Ehe (24 Prozent) geschieden. Das gilt für Paare, die 2005 vor dem Standesbeamten gestanden sind. Von Ehepartnern, die 1985 geheiratet haben, waren nach zehn Jahren 18 Prozent wieder getrennt.

Je steiler die Kurve, desto schneller gehen für die Ewigkeit geschlossene Partnerschaften in die Brüche.

Haben Sie selbst schon geheiratet? Geben Sie in dieser Grafik Ihr Hochzeitsjahr an. Die Anwendung zeigt, wie viele Ehen, die im gleichen Jahr geschlossen wurden wie Ihre, bis heute geschieden wurden. Für Hochzeiten, die vor 1985 oder nach 2014 eingegangen wurden, gibt es leider keine Daten.

Was die Grafik auch zeigt: Aussagen wie "Jede zweite Ehe in Österreich wird geschieden" basieren auf einer Annahme: Es wird davon ausgegangen, dass das Hochzeits- und Scheidungsverhalten über die nächsten Jahrzehnte gleich bleibt. Die sinkende Scheidungsrate in Österreich seit 2007 ist aber darauf zurückzuführen, dass die Zahl der Hochzeiten stagniert und jene der Scheidungen rückläufig ist.

Das Scheidungsrisiko nimmt mit jedem Ehejahr ab. Das zeigt das Abflachen der Kurve. Ab dem dritten und vierten Jahr nach der Hochzeit trennen sich weniger Paare. Das "verflixte siebente Ehejahr" geht aus den Daten der Statistik Austria nicht hervor. Vielmehr dauert es heute drei Jahre länger, bis sich Paare scheiden lassen – im Vergleich zu 1985. Nach zehn Jahren und acht Monaten gehen Ehen im Mittel in die Brüche. Vor dreißig Jahren waren es sieben Jahre und acht Monate. Das liegt mitunter daran, dass Paare immer später heiraten und davor schon länger in einer Partnerschaft und in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben – man weiß, worauf man sich einlässt.

Männer lassen sich im Median mit 45 Jahren zum ersten Mal scheiden, Frauen mit 42 Jahren. Vor dreißig Jahren haben sich die meisten Paare zehn Jahre früher scheiden lassen. Viele der Klienten von Marie-Christine Pranter sind Mittvierziger.

In dieser Lebensphase sind die meisten Ehen etwas in die Jahre gekommen, die gemeinsamen Kinder sind oft nicht mehr ganz klein. Die Zeit und Energie, die man für den Nachwuchs aufgewendet hat, lässt sich woanders investieren. "Die Beziehung ist vielleicht nicht mehr so prickelnd, manchmal mehr ein Nebeneinanderherleben. Wer die Beziehung dann nicht hegt und pflegt, weil er oder sie denkt, es würde nichts mehr passieren können, läuft Gefahr, sie zu verlieren", sagt die Mediatorin.

Weil ein Großteil der Paare heute mit mehr Beziehungserfahrung in die Ehe geht, ist die Scheidungswahrscheinlichkeit in den ersten fünf Jahren in jüngster Zeit rückläufig. Das Risiko, dass Ehepaare nach der Silbernen Hochzeit noch getrennte Wege gehen, ist hingegen gestiegen. Das ist auch ein Faktor, warum die mittlere Ehedauer bis zur Scheidung gestiegen ist.

Die Mehrheit der Geschiedenen heiratet aber ein zweites Mal. Von den 2014 geschlossenen Ehen war es für jeden vierten Mann und jede fünfte Frau nicht das erste Mal, dass sie sich das Ja-Wort gegeben haben.

So kommt es, dass sich die Quote der Geschiedenen an der Gesamtbevölkerung von Lebensphase zu Lebensphase unterscheidet. Wann die Quote steigt und fällt, hängt maßgeblich davon ab, wann jemand seine Bildungskarriere beendet hat.

Das Diagramm zeigt den Familienstand der österreichischen Bevölkerung zum 31. Oktober 2013. Das war der Stichtag für die Abgestimmte Erwerbsstatistik. Zwei Jahre später veröffentlichte die Statistik Austria ihre Daten daraus.

Wir sehen

  • Ab dem Alter von 34 Jahren ist fast die Hälfte der Bevölkerung verheiratet (49 Prozent).
  • Mehr Verwitwete als Verheiratete gibt es nach dem 82. Lebensjahr.
  • Zwischen dem 40. und dem 71. Lebensjahr sind durchgängig mehr als zehn Prozent der Bevölkerung geschieden.
  • Akademiker lassen sich später scheiden als Personen mit Pflichtschulabschluss. Das hängt mit der längeren Bildungslaufbahn zusammen und der damit verbundenen späteren Hochzeit.
  • Ehemänner sterben vor ihren Frauen. Sie sind häufiger verwitwet.

"Die Ansprüche an den Partner heute sind hoch. Verständnis, Einfühlvermögen, Zeit füreinander und miteinander werden erwartet und eingefordert. Wenn die Gesamtbilanz nicht stimmt, dann geben viele nicht ihre Vorstellungen auf, sondern eher die Beziehung", sagt Martina Beham-Rabanser. Sie ist Soziologin an der Johannes-Kepler-Universität in Linz.

Aus der National Education Panel Study für Deutschland geht hervor, dass Ehepaare, die Akademiker sind, das niedrigste Scheidungsrisiko haben. Das höchste Scheidungsrisiko gibt es bei Paaren, bei denen die Frauen einen höheren Bildungsabschluss haben als ihre Männer. "Konkurrenzdenken und Minderwertigkeitsgefühle schaden der Beziehung", sagt Beham-Rabanser. Binationale Ehen werden ebenso öfter geschieden als Ehen innerhalb einer Nationalität.

Wie bei Hochzeiten gilt: Gleich und gleich gesellt sich gerne. Je ähnlicher sich Paare sind – Alter, Bildung, Interessen –, desto seltener werden sie geschieden. So weit, so erwartbar. Aber welche Rollen spielen Kinder, wenn es um Scheidungen geht? Und wie alt sind diese bei der Scheidung?

Wir sehen

  • Der Anteil der Kinder, deren Eltern sich vor ihrem ersten Tag in der Volksschule scheiden lassen, ist gesunken. Jedes zweite Kind war 1985 bei der Scheidung seiner Eltern jünger als sechs Jahre, 2014 war es jedes dritte Kind.
  • Im Median waren die meisten Kinder bei der Scheidung ihrer Eltern in den vergangenen dreißig Jahren drei Jahre alt.

Menschen, die selbst die Scheidung ihrer Eltern miterlebt haben, lassen sich selbst auch eher scheiden. "Sie haben gesehen, dass eine Scheidung bewältigt werden kann und nichts Unüberwindbares ist. Das lässt die Hemmschwelle sinken", sagt Martina Beham-Rabanser.

Gesellschaftlich sind Scheidungen heute weniger stigmatisiert – zumindest in Österreich. In Süd- und Osteuropa werden Scheidungen selten gutgeheißen. Am liberalsten sind nordeuropäische Staaten.

Das spiegelt sich auch in den Scheidungsraten der Länder wider. Während in Österreich auf 100 Hochzeiten 41 Scheidungen kommen, sind es in Kroatien 28, in Bosnien 13 und im Kosovo 8 (Eurostat, 2012).

Auch der Altersunterschied spielt für das Scheidungsrisiko eine Rolle. Je weniger Jahre zwischen den Ehepartnern liegen, desto eher bleiben sie zusammen.

Bei Thomas und Nina ist der Altersunterschied nicht groß. Er ist zwei Jahre älter. Das ist der durchschnittliche Altersunterschied von Ehepartnern. Die beiden gehen nach ihrer Mediation nicht als geschiedene Leute auseinander. "Die Hälfte der Paare versucht es noch ein Mal miteinander", schätzt Mediatorin Pranter. Dann mit der Absicht zu besserem Beziehungston, mehr Aufmerksamkeit und Achtung für den Partner. (Gerald Gartner, Markus Hametner, 7.8.2016)