Jede Demokratie lebt davon, dass die Bürger ein Mindestmaß an Vertrauen in die staatlichen Institutionen haben. In einer repräsentativen Demokratie wird es irgendwann zu einem Problem, wenn die Wähler den Einrichtungen des Staates grundsätzlich mit Misstrauen begegnen.

Während man in einem autoritären System die Ablehnung gegenüber der Regierung von der Ablehnung des Systems an sich oft nur schwer trennen kann, ist es in einer Demokratie möglich, Vertrauen in das System zu haben, auch wenn man den zu einem bestimmten Zeitpunkt Regierenden skeptisch gegenübersteht.

Die erste Grafik zeigt, wie hoch das Vertrauen der österreichischen Bevölkerung in verschiedene Institutionen ist. Die Daten stammen von der Eurobarometer-Umfrage, durchgeführt im Mai 2016. Dargestellt wird der Saldo aus "Vertrauen" und "kein Vertrauen". Positive Werte bedeuten, dass das Vertrauen in der Bevölkerung überwiegt, negative Werte bedeuten, dass das Misstrauen stärker ausgeprägt ist.

An der Spitze liegen allesamt staatliche Institutionen, die (zumindest formal) politisch neutral sind: Polizei, Bundesheer, Justiz und lokale Behörden. Medien rangieren im Mittelfeld, wobei Radio und Fernsehen besser abschneiden als Printmedien, Internet und soziale Medien. Ebenfalls im negativen Bereich landen Uno und EU sowie Parlament, Regierung, und politische Parteien.

Eine mögliche Interpretation dieser Zahlen ist, dass bei nationalen politischen Institutionen das Vertrauen mit der Parteilichkeit sinkt: Formal parteifreie Institutionen (Verwaltung, Exekutive, Justiz) landen vor dem Parlament (einer Allparteieninstitution), gefolgt von der Regierung (die aus zwei Parteien besteht) und den Parteien selbst.

Beachtenswert ist auch, dass das Vertrauen in die politischen Institutionen in der Vergangenheit schon höher war. In der zweiten Grafik sieht man, dass der Vertrauenssaldo von Parlament und Regierung zwischen 2004 und 2010 meist im positiven Bereich rangierte. Auch die EU wird in Österreich heute deutlich skeptischer gesehen als noch vor zehn Jahren. (Der plötzliche Knick nach unten im Mai 2014 mag damit zu tun haben, dass die Umfrage mit dem Wahlkampf für die Wahl zum Europäischen Parlament zusammenfiel.)

Was die Grafik noch zeigt: Die Zeitreihen korrelieren zum Teil sehr stark miteinander. Die Korrelationskoeffizienten betragen etwa r = 0,94 für Parlament und Regierung, r = 0,85 für Parlament und EU sowie r = 0,79 für Parteien und Regierung. Das legt den Schluss nahe, dass sämtliche dieser Einzelindikatoren durch einen dahinterliegenden Faktor – das Grundvertrauen ins politische System – beeinflusst werden. Wenn dieses Grundvertrauen sinkt, dann geht – grosso modo – das Vertrauen in sämtliche Institutionen zurück.

Was angesichts der oben gezeigten Zahlen vielleicht überrascht: Trotz der stark gesunkenen Vertrauenswerte für politische Institutionen liegt Österreich im EU-Vergleich noch im oberen Drittel. Die dritte Grafik zeigt den Vertrauenssaldo für Regierung, Parlament und Parteien in allen EU-Staaten im Mai 2016.

Bemerkenswert ist, dass die überwiegende Mehrheit der Punkte im negativen Bereich liegt. Nur in wenigen Ländern erzielen Parlament und Regierung positive Vertrauenswerte, politische Parteien haben überall einen negativen Saldo.

Noch interessanter allerdings ist das geografische Muster: In den meisten Mittelmeerländern herrscht eine regelrechte Vertrauenskrise. Das Mittelfeld wird hauptsächlich von den neuen EU-Staaten in Osteuropa gebildet, während die höchsten Werte in West- und Nordeuropa erzielt werden. Auffällige Ausreißer aus diesem Gesamtmuster sind Portugal, das deutlich höhere Werte aufweist als etwa Spanien oder Frankreich, Estland, das sich klar von den beiden anderen baltischen Staaten absetzt, und Malta, das insgesamt zu den Spitzenreitern zählt (vielleicht trägt da auch die überschaubare Landesgröße etwas bei, siehe Luxemburg und Estland).

Diese positiven Ausreißer sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bürger in weiten Teilen Europas Regierung, Parlament und Parteien mit tiefem Misstrauen begegnen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Vertrauenskrise auf Dauer nicht die Legitimität der demokratischen Ordnung untergräbt. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 4.8.2016)