Brüssel/Berlin/Athen – Die EU-Kommission will von einem Plan B im Fall des Scheiterns des Flüchtlingsdeals mit der Türkei weiterhin nichts wissen. Eine Sprecherin erklärte am Mittwoch in Brüssel, "die Kommission hat einen Plan A – und der bedeutet, dass der EU-Türkei-Deal erfolgreich arbeitet".
Der gesamte Migrationsbereich laufe nicht erst seit gestern, sondern es gebe die Agenda bereits seit 2015. "Wir haben die vergangenen 15 Monate damit verbracht, zahlreiche Initiativen zu setzen." Die Sprecherin führte die Flüchtlingsquote (relocation, resettlement) an, die Asylgesetze und die Dringlichkeitshilfen auch für die Westbalkanstaaten. "Ich könnte noch viel mehr aufzählen. Aber das ist unser umfangreicher Plan." Die Kommission helfe auch unter Druck geratenen Ländern in der Flüchtlingskrise.
Sebastian Kurz für Alternativen
Österreichs Außenminister Sebastian Kurz sprach sich am Mittwoch hingegen für Alternativen zum Deal aus. "Wir können uns nicht zurücklehnen und darauf hoffen, dass der Deal mit der Türkei hält", sagte Kurz dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", wie das dieses am Mittwoch mitteilte.
Der ÖVP-Politiker fügte hinzu: "Wir dürfen gegenüber Ankara nicht in die Knie gehen, sondern müssen unsere Grundwerte verteidigen." Die EU brauche dafür zunächst "eine wirkliche Grenz- und Küstenwache". Wer an den Außengrenzen aufgegriffen werde, müsse "in Hotspots auf Inseln" versorgt und in sein Herkunftsland oder ein sicheres Transitland gebracht werden, wie Australien dies praktiziere.
Griechenland dementiert
Der griechische Migrationsminister Yiannis Mouzalas hat dementiert, in einem Zeitungsinterview einen Plan von der EU gefordert zu haben, falls die Türkei den Flüchtlingspakt scheitern lässt. Der Minister dementiere die Übersetzung seiner Äußerungen in der "Bild"-Zeitung, teilte sein Haus am Mittwochabend in Athen mit.
Das Ministerium veröffentlichte auf seiner Website zugleich die Antworten von Mouzalas auf Griechisch. Demnach sagte der Minister auf die Frage, ob ein Plan B notwendig sei, sollte die Türkei den Flüchtlingsdeal aufkündigen: "Griechenland ist in das Abkommen der EU mit der Türkei eingebunden, das einerseits von der Unterstützung der EU und andererseits von der Verpflichtung der Türkei abhängt, dieses zu respektieren".
Die "Bild"-Zeitung hatte den Minister mit den Worten zitiert, seine Regierung sei über das von Ankara angedrohte Scheitern der Flüchtlingsvereinbarung "sehr beunruhigt". "Wir brauchen in jedem Fall einen Plan B", sagte er demnach. Zugleich forderte Mouzalas die EU-Staaten zu mehr Einsatzbereitschaft bei der Aufnahme von Flüchtlingen auf: "Die Flüchtlinge müssen gleich an alle EU-Staaten verteilt werden – und nicht an einzelne."
Ankara verlangt Ende der Visumpflicht
Die Türkei fordert derzeit energisch die Visumfreiheit für ihre Staatsbürger ein, die sie von der Europäischen Union im Gegenzug für den Flüchtlingspakt versprochen bekommen hat. Ankara verlangt nun das Ende der Visumpflicht bis spätestens Oktober, sonst werde das Abkommen platzen.
Im Rahmen des Mitte März geschlossenen Abkommens nimmt die Türkei seit April auf den griechischen Inseln ankommende Flüchtlinge zurück. Dabei wurde ein besonderer Mechanismus für die Flüchtlinge aus Syrien vereinbart: Für jeden zurückgeführten Syrer nehmen die EU-Staaten einen syrischen Flüchtling aus der Türkei auf. Seither ist die Zahl der Flüchtlinge, die übers Meer in Griechenland ankommen, stark gesunken.
"Neubewertung" gefordert
Mit Blick auf die zahlreichen Verhaftungen und Entlassungen in der Türkei sprach sich die Menschenrechtsbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Bärbel Kofler, in den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) für eine "Neubewertung" des Abkommens aus.
"Das Abkommen setzt Rechtsstaatlichkeit auf allen Seiten voraus – in der Türkei ist diese zurzeit nicht gegeben", sagte die Regierungsbeauftragte. "Wir wissen, dass die Bearbeitung der Asylanträge von Afghanen, Irakern und Iranern in der Türkei nicht nach rechtsstaatlichen Regeln erfolgt", sagte Kofler und forderte: "Darüber kann die EU, darüber können auch wir nicht einfach hinwegsehen."
Brok warnt vor Scheitern des Deals
Der Europaparlamentarier Elmar Brok (CDU) hat vor einem Aussetzen des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei gewarnt. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament sagte am Mittwoch im "Morgenmagazin" des ZDF, man müsse in der Frage unterscheiden: Was Präsident Recep Tayyip Erdoğan innenpolitisch mache, sei in vielem "nicht in Ordnung". Auf der anderen Seite helfe der Flüchtlingsdeal aber dabei, "gegen Menschenhändler vorzugehen".
Die Vereinbarung mit Ankara komme außerdem den drei Millionen syrischen Flüchtlingen zugute, die seit Jahren in der Türkei lebten, sagte Brok. "Was ist schlecht daran?", fügte er mit Blick auf das Abkommen hinzu und warnte davor, die Themen "miteinander zu vermischen".
Kritik an Zemans Aussagen
Unterdessen hat der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger den tschechischen Staatspräsidenten Miloš Zeman kritisiert. Dieser hatte am Dienstag im tschechischen Parlament einmal mehr gefordert, EU-Quoten zu ignorieren und keine Flüchtlinge aufzunehmen. "Natürlich sehe ich wohl, dass Tschechien historisch gesehen nicht so viele Asylgründe in der Verfassung stehen hat wie wir", sagte Oettinger dem Radiosender ffn. "Aber die Flüchtlingsquote ist mit großer Mehrheit beschlossen worden und ist europäisches Recht." Wer wie Präsident wie Zeman europäische Gesetzgebung so diffamiere, der schwäche Europa insgesamt.
Tschechien lehnt ebenso wie die drei anderen Visegrád-Staaten Ungarn, Polen und die Slowakei verpflichtende EU-Quoten zur Flüchtlingsverteilung vehement ab. (APA, red, 3.8.2016)