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Erdoğan mit US-Präsident Barack Obama beim G20-Gipfel in Antalya.

Foto: AP/Susan Walsh

Ankara – Nach der Kritik von EU und USA am Vorgehen Ankaras gegen mutmaßliche Unterstützer des vereitelten Putschversuchs hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan dem Westen am Dienstag Unterstützung von "Terror" und Putschisten vorgeworfen. In einer Fernsehansprache richtete er am Dienstag auch Vorwürfe gegen die deutsche Justiz, die Europäische Union und die USA.

In seiner Ansprache sagte Erdoğan: "Leider unterstützt der Westen den Terror und steht an der Seite der Putschisten." Er attackierte auch die deutsche Justiz, die ihm untersagt hatte, sich während der Kölner Großdemonstration am Sonntag per Videobotschaft an seine Anhänger zu richten. Anführern der von Ankara als Terrororganisation eingestuften Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sei dies hingegen kürzlich erlaubt worden.

Keine Videozuschaltung nach Köln

Das türkische Außenministerium hatte am Montag erklärt, dem deutschen Geschäftsträger in Ankara sei "mit Nachdruck die Enttäuschung" über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts übermittelt worden, dem "vom Volk gewählten Präsidenten" eine Videozuschaltung nach Köln zu verbieten.

Zu der von Ankara ins Spiel gebrachten Aufkündigung des Flüchtlingsdeals mit der EU sagte Erdoğan, Europa habe seine Versprechen noch nicht erfüllt. Die EU-Zuschüsse flössen nicht in den Haushalt der Türkei, sondern kämen den Flüchtlingen zugute. In der Visafrage tue sich unterdessen nichts.

Erdoğan droht

Ankara verlangt, dass Türken bis spätestens Oktober ohne Visum in die EU-Staaten einreisen dürfen. Ansonsten will die Türkei den Mitte März geschlossenen Flüchtlingsdeal nicht mehr anerkennen. Die Türkei nimmt auf Grundlage dieses Abkommens seit April Flüchtlinge von den griechischen Inseln zurück.

Erdoğan griff in seiner Rede auch die USA mit deutlichen Worten an. Er beschuldigte Washington, den islamischen Prediger Fethullah Gülen, den Ankara für den Umsturzversuch verantwortlich macht, trotz eines Auslieferungsgesuchs weiterhin "zu verstecken und zu schützen". Angesichts der strategischen Partnerschaft beider Länder sei dies unverständlich.

Präsident will Auslandsgeheimdienst kontrollieren

Die Zeitung "Hürriyet" berichtete, beim türkischen Geheimdienst MIT sollten Inlands- und Auslandsspionage voneinander getrennt werden. Dabei sollten Polizei und Gendarmerie für innere Angelegenheiten zuständig sein und direkt dem Innenministerium Bericht erstatten. Der Auslandsgeheimdienst soll demnach der Präsidentschaft verpflichtet sein. Erdoğan hatte bereits am Wochenende angekündigt, den MIT unter seine Kontrolle stellen zu wollen.

Der Geheimdienst war im Zuge des gescheiterten Militärputschs vor zweieinhalb Wochen in die Kritik geraten. So soll Geheimdienstchef Hakan Fidan Stunden vor dem Umsturzversuch über die anstehende Revolte unterrichtet gewesen sein, Erdoğan aber nicht darüber informiert haben.

Polizeirazzien im Krankenhaus

Türkische Medien berichteten unterdessen über Polizeirazzien im Krankenhaus der Militär-Medizinischen Akademie Gülhane in Ankara. Die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete unter Berufung auf die Polizei, 50 Verdächtige, darunter Militärärzte, seien festgenommen worden.

Ein Regierungsvertreter, der anonym bleiben wollte, bestätigte, dass 98 Haftbefehle ausgestellt worden seien. Dem Klinikpersonal werde vorgeworfen, Anhängern des in den USA lebenden Gülen vorteilhafte Gesundheitszeugnisse ausgestellt und ihnen damit den Eintritt in die Armee und den dortigen Karriereaufstieg erleichtert zu haben.

Schiedsrichter entlassen

Der türkische Fußballverband (TFF) hat nach dem Putschversuch 94 Mitglieder des Verbandes, darunter Funktionäre und Schiedsrichter, entlassen. Das teilte der Verband am Dienstag in einer kryptischen Erklärung mit.

"Unser Verband erachtet es als notwendig, 94 Personen zu entlassen, einschließlich regionaler und nationaler Schiedsrichter und Assistenten, Mitglieder regionaler Schiedsrichterkommissionen und Beobachter auf regionaler sowie nationaler Ebene", schrieb der TFF in einem Statement. Nähere Angaben zur Entscheidung wurden nicht gemacht.

Die türkische Führung geht seit dem gescheiterten Militärputsch massiv gegen Armeeangehörige, Staatsbedienstete, Journalisten und Wissenschafter vor, die der Nähe zur Gülen-Bewegung bezichtigt werden. Fast die Hälfte der türkischen Generäle wurde gefeuert, zehntausende Zivilisten verloren ihren Job. Gülen, einst ein enger Verbündeter Erdoğans und nun dessen Erzfeind, weist eine Verwicklung in den Putschversuch entschieden zurück.

Der US-Generalstabschef Dunford traf am Montag in Ankara unter anderen Regierungschef Binali Yildirim und seinen türkischen Kollegen Hulusi Akar. Dabei habe Dunford den jüngsten Putschversuch "auf das Schärfste" verurteilt und die "Bedeutung unserer beständigen Partnerschaft" für die regionale Sicherheit betont, erklärte sein Sprecher. Yildirim bekräftigte die Forderung seiner Regierung nach rascher Auslieferung Gülens durch die USA. (APA, AFP, 2.8.2016)