Foto: OÖ Sozialplattform

Standard: Bei der Mindestsicherung wurde der Sparstift angesetzt: Niederösterreich hat bereits zu Jahresbeginn gekürzt, Mitte Juni wurde die Kürzung für befristet Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ auch in Oberösterreich beschlossen. Die Sozialplattform hat heftig protestiert – was befürchten Sie längerfristig?

Pürmayr: Es droht ein generelles Hinunterlizitieren der sozialen Sicherheitsstandards. Und man beginnt mit den Flüchtlingen bei jener Bevölkerungsgruppe, die wahrscheinlich am wenigsten Rückhalt und Unterstützung hat. Doch das ist nur der Türöffner für weitere Kürzungen. Wenn auf Bundesebene die Diskussion läuft, die Mindestsicherung an frühere Erwerbseinkommen zu knüpfen, dann ist eine Entwicklung spürbar: Es bleibt nicht bei den Flüchtlingen stehen, was schlimm genug ist, es wird schon bald auch andere Bevölkerungsgruppen treffen – etwa Arbeitslose.

Standard: Argumentiert wird, dass es die Kürzung der Mindestsicherung als ein deutliches Signal braucht, um die Attraktivität Österreichs als Zielland für Flüchtlinge zu senken – und das Sozialsystem vor Überlastung zu schützen. Können Sie dem nichts abgewinnen?

Pürmayr: Nein. Das ist doch viel zu kurzsichtig gedacht. Jene Kosten, die im Sozialbereich gespart werden, belasten das Budget in anderen Bereichen sogar stärker. Es entstehen Folgekosten im Gesundheitssystem.

Standard: Trotzdem ist die Meinung vieler klar: Wer nicht in den Topf eingezahlt hat, soll auch nichts bekommen ...

Pürmayr: ... nicht einmal so geringe Teile der Bevölkerung sehen das so. Aber auch das ist sehr kurzfristig gedacht: Es braucht ein Vertrauen und einen gewissen Vorschuss an Geldleistungen. Das muss sich unser System einfach leisten können. Jeder Unternehmer beginnt mit einem Kredit – und zahlt dann zurück, wenn die Firma läuft.

Standard: Wenn aber Mindestsicherungseinkommen in bestimmten Fällen höher sind als Arbeitseinkommen, dann gibt es doch Fehler im System, oder?

Pürmayr: Man kann genauso argumentieren, dass die Löhne zu gering sind. Und es sind sehr wenige Fälle, in denen die Mindestsicherung höher ist als ein fiktives Erwerbseinkommen. Aber die werden immer wieder zitiert. Und bitte: Fast zehn Prozent der Mindestsicherungsbeziehenden sind Working Poor. Diese Menschen arbeiten, verdienen aber so wenig, dass sie eine Zuzahlung brauchen. Also stimmt doch letztlich bei den Löhnen und nicht bei der Höhe der Mindestsicherung etwas nicht. Aber es bräuchte sicher eine bundesweit einheitliche Regelung: eine Mindestsicherung mit fixierten Mindeststandards und einer verpflichtenden Berücksichtigung regional höherer Kosten, beispielsweise fürs Wohnen.

Standard: In Oberösterreich gab es in Zusammenhang mit der Kürzung der Mindestsicherung grobe rechtliche Bedenken. Überlegt man als Sozialplattform eine Klage?

Pürmayr: Klagen können nur betroffene Einzelpersonen einbringen. Aber ganz klar: Ich würde Klagen gegen die Sozialkürzungen begrüßen. Nur so bekommen wird auch Rechtssicherheit. (Markus Rohrhofer, 3.8.2016)