Der 84-jährige Ska-Pionier Ernest Ranglin gab seinen tänzelnden Bühnenabschied.

Foto: Sascha OSaka

Krems – Zeit vergeht, Qualität besteht. Was sich 1995 schüchtern als einmaliges Akkordeonfest anbahnte, hat sich heute zu Österreichs wichtigstem Festival für Weltmusik ausgewachsen. Am Sonntag ging in Krems an der Donau die 20. Ausgabe von Glatt und Verkehrt zu Ende. Und weil sich das geneigte Publikum nach so vielen Jahren schon ein bisschen etwas sagen lässt, stand Musikerziehung auf dem Plan.

Am Samstag widmete man sich der Großfamilie Gitarre. Interpreten aus drei Erdteilen gaben Lektionen in Sachen Saitenspiel und Lebensfreude. Das C4 Trio aus Venezuela stellte die viersaitige Kleingitarre Cuatro vor. In ihr manifestieren sich Einflüsse der spanischen Conquistadores, afrikanische und indigene Elemente.

Das Instrument wird so rasant bespielt, bezupft und beklopft, dass das Auge nicht mehr mitkommt. Begleitet von einem Bass, loteten die drei Cuatro-Spieler bei ihrem ersten Österreichkonzert ein überraschendes Spektrum aus, das vom traditionellen Joropo-Tanz Venezuelas bis ins Funkige geht. Augenzwinkernd setzte man sich auch mit europäischen Musikheiligtümern wie Carmina Burana und Freude schöner Götterfunken auseinander.

Respekt, Harmonie und Frieden

Den ironischen Grundton beibehaltend ging es weiter nach Indien. Pandit Vishwa Mohan Bhatt lud mit seinem Divana Ensemble zu einer relaxierenden Schneidersitz-Séance für Alt- und Späthippies. Zusammen nennen sich die sechs Musiker Desert Slide – eine Anspielung auf Bhatts selbstgebaute Slidegitarre mit dem Namen Mohan Veena. Dem Korpus nach gitarrenähnlich, wird sie liegend im Schoß gespielt und hat nicht weniger als 19 Saiten.

Das Klangerlebnis reicht vom typisch schwingenden "Booing"-Sitarspiel bis hin zu rockigen Riffs. Dazu gibt es kehligen, klagevollen Gesang von Anwar Khan Manghaniar, der – wie auch das feurige Kastagnettenspiel Gazi Khan Barnas – im Frage-Antwort-Muster vorgetragen wird. "Wir spielen für Respekt, Harmonie und Frieden in der Welt", stellte Bhatt mit sanfter Guru-Stimme klar; und bereitete sogleich den idealen Nährboden für die jamaikanische Variante von Love and Peace.

Jamaika in alten Anzughosen

Die hat Ernest Ranglin in den 1960er-Jahren de facto miterfunden. Der im jamaikanischen Manchester geborene E-Gitarren-Gott gilt als Wegbereiter des Ska, streute sein Wirken aber weit darüber hinaus: Reggae klarerweise, Jazz sowieso, aber auch Filmmusik (Dr. No) und Pop. 84-jährig gibt Ranglin nun seine Abschiedstournee, hat dazu Freunde wie die Schlagzeuglegende Tony Allen um sich geschart. Der spielt zwar mit der Abgebrühtheit einer Hochzeitsband – haut sich also nicht mehr so ins Zeug -, hat aber immerhin mit Fela Kuti den Afrobeat erfunden. Das muss reichen.

Ranglin hat die Lust noch nicht verloren. In buntem Hemd und alten Anzughosen tänzelte er mit sanften Trippelschritten über die Bühne, das Spielgerät noch einmal ausreizend bis in unspielbare Tonhöhen. Der schunkelige Reggae-Jazz klingt nach Marmeladebrotschmieren am Sommermorgen, ist aber gut. Für die punktuell notwendige Blutauffrischung sorgen Jüngere: Der britische Saxofon-Star Courtney Pine etwa begeisterte das Publikum mit schmetternden Soli. Ranglin, den Unantastbaren, verabschiedete man ohne Umarmung. Ein Händedruck war würdig und recht. (Stefan Weiss, 31.7.2016)