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Steht nach einem Bericht intern unter Druck: IWF-Chefin Christine Lagarde.

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Wien – Am Sonntag, dem 16. März 2008 geht die 85-jährige Geschichte von Bear Stearns zu Ende. Die fünftgrößte Investmentbank der Wall Street hat hoch spekuliert. In den ersten Märztagen verliert das Institut täglich mehrere Milliarden Dollar wegen schiefgelaufener Finanzdeals. Die US-Notenbank muss mit einem Kredit helfen, Bear Stearns wird spottbillig an einen Konkurrenten verkauft.

Nach dem Ende der Bank beginnen sich Investoren zu fragen, welches Institut als nächstes wanken könnte. Ins Gerede kommt Irland: Das Euroland ist Heimat vieler aufgeblähter Kreditinstitute wie der Anglo Irish. Was, wenn Anglo in Probleme schlittert – wird Irland das Institut retten, kann sich Dublin das leisten?

Hektische Betriebsamkeit

Die Lage ist so ernst, dass hinter den Kulissen hektische Betriebsamkeit beim Internationalen Währungsfonds (IWF) entsteht. Der Fonds entsendet Anfang 2009 Experten nach Dublin und versucht auf die Regierung einzuwirken: Sie soll einen prophylaktischen IWF-Kredit aufnehmen. Der IWF will Geld bereitstellen, auf das der Staat zugreifen kann, wenn eine Bank Hilfe braucht. Doch Irland lehnt vorerst ab.

Ein weiteres Jahr wird vergehen, bis mit Griechenland tatsächlich das erste Euroland Hilfe vom IWF in Anspruch nimmt. Ein Jahr, in dem der Währungsfonds sich mit den Problemen in der Eurozone und der Möglichkeit, dass ein Land dort an den Rand der Pleite schlittert, hätte auseinandersetzen können. Doch das ist nicht geschehen. Als die Eurokrise 2010 losbricht, war der IWF unvorbereitet.

So lautet eine Schlussfolgerung des Independent Evaluation Office (IEO) über die Kriseneinsätze des Währungsfonds in der Eurozone. Der IEO ist eine weisungsfreie Abteilung innerhalb des Fonds. Seine Aufgabe ist es, die Arbeit der Washingtoner Organisation kritisch zu beleuchten.

Umfassender Bericht

Nun hat der IEO einen umfassenden Bericht zu den Rettungseinsätzen des IWF zwischen 2010 und 2013 in Griechenland, Portugal, Irland und Zypern vorgelegt.

Teile der Analyse lesen sich vernichtend. Der IEO kritisiert, dass zwischen der Irland-Episode und dem Beginn der Gespräche über ein Hilfspaket für Griechenland kein einziges Mal in der Führungsebene des IWF über Probleme in der Eurozone auch nur geredet wurde.

Das Versäumnis resultierte aus einem Missverständnis: Die IWF-Experten waren vor der Krise davon überzeugt, dass in einer Währungszone die internen Ungleichgewichte keine Rolle spielen. So wurden die großen Defizite in den Leistungsbilanzen von Griechenland, Irland und Portugal lange Zeit nicht beachtet. "Ein bedeutender analytischer Fehler", heißt es im IEO-Bericht.

Hohe Leistungsbilanzungleichgewichte

Ein Leistungsdefizit bedeutet, dass ein Land mehr Waren und Dienstleistungen aus dem Ausland einführt als ausführt. Dieses Defizit muss finanziert werden, in der Regel durch Kredite im Ausland. Wenn sich diese Kredite verteuern, wird das für Länder zum Problem. Genau das ist Griechenland, Portugal und Irland zum Verhängnis geworden. Der IWF hat zwischen 2001 und 2007 keinen dieser Staaten zu Korrekturen gedrängt. In der "Euphorie" der Boomjahre wurden auch Warnungen aus akademischen Kreisen nicht beachtet, so der Bericht.

Als die Krise losbrach, setzten sich die Versäumnisse fort. Um Griechenland einen Kredit geben zu können, mussten die internen IWF-Richtlinien geändert werden, weil das Darlehen an Athen so hoch war.

Versteckte Änderung

Diese Änderung musste das Direktorium genehmigen. Im Direktorium sitzen 24 Ländervertreter, darunter aus allen großen Staaten. Der Änderungsbeschluss wurde dem Direktorium laut IEO untergejubelt. Die wichtigen Passagen wurden in einem allgemeinen Bericht zu Griechenland versteckt.

Die IWF-Führung, damals unter Dominique Strauss-Kahn, wollte beim Hellas-Programm unbedingt mitmachen. Man war dafür offensichtlich bereit, die nicht eingeweihten Direktoren aus Südamerika und Asien zu umgehen.

Und weiter: Während die Strategie in Irland aufging, habe der Fonds im Fall von Portugal und Griechenland zu lange an unrealistischen Erwartungen festgehalten. Wachstumsprognosen waren jahrelang überoptimistisch.

Einflussnahme von außen

Einflussnahme von außen spielte dabei eine Rolle. Der IWF war in der Eurozone mit der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank im Rahmen der Troika engagiert. Laut Bericht hat die EU-Kommission in vielen Fällen "Druck" auf IWF-Experten ausgeübt, was sich in deren Berichten niederschlug. Die EU-Kommission stand ihrerseits unter Druck großer Euroländer.

Versuchte Einflussnahme von Ländern auf das Management ist Alltag beim Fonds. Das Besondere in Europa war, dass der Druck schon auf Fachebene ausgeübt wurde. Die Einflussnahme der Politik hat dazu geführt, dass die IWF-Leute lange Zeit einen Schuldenschnitt für Athen nicht befürworteten. Obwohl ab Ende 2010 klar war, dass er nötig wird, so der IEO-Bericht (András Szigetvari, 29.7.2016)