STANDARD: Sie waren auch vor vier Jahren in London dabei. Haben Sie damit gerechnet, auch heuer für den ORF zu kommentieren?

Bergmann: Für mich war es eine Überraschung. Damals hat es geheißen, dass wir es machen, wenn es geht. Mein Tagespensum werden 25 oder 26 Boxkämpfe sein. Man muss eigentlich einen Pecker haben, wenn man sich auf das freut. An der Universität habe ich ja selbst geboxt. Dort im Boxen zu siegen, ist aber so wie in Abu Dhabi ein Abfahrtsrennen zu gewinnen.

STANDARD: Ihre schönsten Olympischen Spiele?

Bergmann: Meine schönsten Olympischen Spiele waren 1988 in Seoul. Da gab es zwei Bergmanns. Einen 50-jährigen Reporter, Sigi, und eine 17-jährige, bildhübsche Tochter. Sie war siebenfache Staatsmeisterin in der Rhythmischen Sportgymnastik. Am Tag vorher waren meine Tochter und ich im Fernsehstudio eingeladen. Ich habe noch nie so gestottert.

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STANDARD: Haben Sie Ihre Tochter überhaupt gesehen? Sie dürften ja parallel kommentiert haben.

Bergmann: Ich bin am Ring gesessen, habe kommentiert und mir am Monitor die Turnhalle eingestellt. Geboxt haben zwei Schwergewichte, die sich fast massakriert haben. Das Blut ist gespritzt. Ich bin dort gesessen und habe glücklich gelächelt. Hätte das jemand gesehen, hätten sie mich für einen Perversling gehalten, der glücklich ist, wenn das Blut spritzt. Mein Freund Werner Schneyder hat damals auch Boxen kommentiert. Nach dem Auftritt meiner Tochter sind mit ihm alle Boxkommentatoren aufgestanden, haben sich zu mir gedreht und applaudiert. Die Boxer haben geglaubt, wir sind so begeistert, und haben sich noch mehr verdroschen. Schöner war Olympia für mich noch nie.

STANDARD: Wenn Ihre Tochter gesagt hätte, dass sie Boxerin werden möchte: Hätten Sie das forciert oder aus gesundheitlichen Gründen versucht zu verhindern?

Bergmann: Der Gunnar Prokop hat meiner Frau vor diesen Olympischen Spielen gesagt: Wissen Sie, wie schlecht Rhythmische Sportgymnastik für die Wirbelsäule ist? Ich darf nicht mit Begeisterung Boxen kommentieren und mein Kind dann davor schützen. Aber dieses Problem musste ich nicht lösen, und Frauenboxen war damals nicht so populär. Generell hat sich einiges verändert. Es gibt zehn Gewichtsklassen. Das geht von 49 Kilo weg, damit die Asiaten eine Chance haben. Die sind klein, wendig, schlagen aber wie Pferde. Reißt der mir eine, liege ich vier Meter weiter, obwohl er mir nur bis zur Brust geht. Diese Schlagkraft ist ungeheuerlich.

STANDARD: Ihre Faszination für den Sport scheint ungebrochen.

Bergmann: Der Spitzensport hat eine ganz wichtige Aufgabe, nämlich junge Menschen zum Sport zu bewegen. Deswegen wundert mich, wenn unser ÖOC-Präsident sagt, dass wir kein Sportland sind. Das hängt nicht nur mit den Siegen zusammen, sondern mit der Einstellung. Sagen Sie mir einen Politiker, der populärer ist als der Hirscher oder der nur halb so populär ist. Es gibt zum Beispiel ein Land, das genauso groß ist wie Österreich und sportlich fast immer besser war: Ungarn. Im Schwimmen waren die immer Weltklasse. Warum? Durch die Thermalquellen haben die im Winter schon wie die Wilden trainieren können. Das war damals die Basis.

STANDARD: Sie haben auch immer Brücken zwischen Sport und Kultur gebaut.

Bergmann: Ich frage mich immer wieder, warum gefällt mir Olympia so, und warum sitze ich so gerne hier? (Café Tirolerhof, Anm.) Eines meiner Stammhäuser ist gegenüber, nämlich die Oper. Ich gehe als 78-Jähriger noch immer auf einen Stehplatz, auch wenn es der Ring der Nibelungen ist. Ich habe Partituren studiert, auch wenn ich im Augenblick nur als Friedhofssänger sehr begehrt bin. Als Junger habe ich mir in einem Quartett etwas Geld verdient. Es gab weltweit keine Sportsendung wie "Sport am Montag", in der ein Plácido Domingo, Jose Carreras, Luciano Pavarotti, Helmuth Lohner oder auch Otto Schenk, der Präsident des Eislaufvereins war, zu Gast waren. Ich wollte eine Balance zur Kultur schaffen, und diese Künstler haben sich für den Spot eingesetzt. Ich weiß nicht, ob ich so ein Egoist war und sie eingeladen habe, weil ich so gerne unter Stars gesungen hätte. So habe ich ihnen nur das Mikrofon hinhalten dürfen.

STANDARD: Sie haben "Sport am Montag" 1975 gegründet und 17 Jahre moderiert. In Erinnerung wird zum Beispiel Ihr Lauf über glühende Kohlen bleiben.

Bergmann: Thema damals war mentale Stärke. Ich habe mir Nadeln durchs Gesicht gestochen, der Peter Seisenbacher (Judoka, Anm.) hat sich mit seinen 100 Kilo auf mich gesetzt, ohne dass ich eingegangen bin. Mental zu arbeiten war mir immer wichtig. Bei den glühenden Kohlen waren es 1000 Grad auf einer Länge von 18 Metern. Eigentlich wollte ich es live machen, aber Teddy Podgorski (Ex-ORF-Generalintendant, Anm.) hat gesagt, pass auf: Du kannst bei mir auftreten, wann du willst, aber wenn du über Feuer gehst, dann sicher nicht live. Soll ich dich eine Viertelstunde beim Verbrennen zeigen?

IPNmedia

STANDARD: So ohne dürfte das ja nicht sein.

Bergmann: Mein geistiger Mentor ist davor drübergegangen, nach vier Schritten musste er mit einem Schrei rausspringen, weil er die Konzentration verloren hatte. Der lag vier Tage auf der Intensivstation, die Sendung wurde aber fertiggedreht. Der hat den Schmerz abschalten können und ist mit seinen zerfetzten Füßen anschließend bei der Diskussion gesessen. Ich habe ihn später vom Taxi Huckepack ins Meidlinger Unfallkrankenhaus getragen. Hätten wir nicht gesagt, dass die Verletzungen von einem Feuerlauf bei einer Sportsendung kommen, hätten sie ihn wahrscheinlich nach Steinhof gebracht (lacht). Wir hatten auch eine Sendung, die ich nur in der Luft moderiert habe. Aus dem Flugzeug bin ich acht Mal gesprungen, um die Überleitung auf den nächsten Film zu machen. Das war eine schöne Zeit.

STANDARD: Man verbindet Sie mit zwei Sportarten: Boxen und Rodeln. Sie haben selbst geboxt, aber woher rührt die Leidenschaft fürs Rodeln?

Bergmann: Ich bin immer auf der Seite der Verlierer gewesen. Für Verlierer habe ich mich mehr interessiert als für Sieger. Meine erste Rodelübertragung war in Albertville 1992, da hatten wir tolle Athleten mit Gold und Silber bei den Frauen und Silber bei den Männern. Ich habe den Fanatismus dieser Leute gesehen. Wie hart sie arbeiten und nichts verdienen. Ich habe das liebend gerne übertragen. Es ist nur eine von vier Sportarten, bei der es um Tausendstel geht.

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STANDARD: Beim Rodeln ist auch Ihr legendärer Satz vom "Wimpernschlag einer Libelle" gefallen. Überlegen Sie sich so etwas vorher?

Bergmann: Ein furchtbarer Satz. Ich wurde geschimpft, welcher Trottel ich bin, weil ich glaube, dass Libellen Wimpern haben. So etwas kommt spontan. Mir sind schon viele Blödheiten eingefallen.

STANDARD: Was noch?

Bergmann: Mein schwerster Fehler, den ich zutiefst bereue, ist mir in einer Diskussion in Innsbruck passiert. Ein Neurologe hat mich irrsinnig attackiert. Er hat gesagt: Sie sind der Marktschreier, der etwa Muhammad Ali zum Zittern gebracht hat. Immer wenn ich am Wort war, ist der dort gesessen und hat das Zittern nachgemacht. Ich habe gefragt: Muss das vom Boxen kommen? Wenn ja, wie viele Boxkämpfe hat denn unser ehemaliger Außenminister Mock, der Parkinson hatte, bestritten. Das ist furchtbar, und ich habe mich sehr geniert. Ich weiß nicht, wie viel Tausend Protestanrufe es gegeben hat. Das war mein Umfaller, dass ich den Ali so blöd verteidigt habe.

STANDARD: Und wie war es damals mit der "Prinzenrolle", als Prinz Albert beim Bobfahren ins Straucheln kam? Gab es wirklich eine Protestnote des Fürstentums Monaco, oder ist das nur eine Legende?

Bergmann: Es ist darüber geschrieben worden, und ich habe mich dann entschuldigt. Das fällt dir ein, du kannst es nicht bremsen, und es ist auf Sendung. Für mich sind Olympische Spiele wie etwa Bayreuth und Salzburg zusammen für Kulturjournalisten. Die Allerbesten treten gegeneinander an, ohne die Sprache des Gegners zu können, ohne auf die Hautfarbe des Gegenübers zu achten. Man umarmt sich nach dem Sieg, aber auch nach der Niederlage. Das ist das wunderschöne am Sport. Der Sport öffnet dein Herz zum Verständnis für alle Nationen.

STANDARD: Und das leidige Thema Doping?

Bergmann: Gunnar Prokop hat 1988 gesagt, wenn du bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen in der Leichtathletik in einem Finale bist, geht es nicht ohne Doping. Wahrscheinlich stimmt das. Ich hätte jetzt mit Russland ein Exempel statuiert. Ich weiß nicht, ob es ein Knickserl oder eine tiefe Verbeugung vor Putin war. In der DDR war Doping eine Staatsgeschichte. Weil eine Frau in den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft leistungssteigerndes Nandrolon erzeugt, hat man sie auf den Zeitpunkt genau geschwängert. Nach der Goldmedaille wurde abgetrieben. Das ist ganz furchtbar. Nur damit man um zwei Zehntel schneller ist. Der Werner Schneyder hat an meinem 70. Geburtstag zur mir gesagt, dass ich wie die Jungfrau von Orleans bin. Als Historiker weiß ich, dass in dem Zusammenhang das Wort naiv immer vorkommt, wenn man über die Jeanne D'Arc schreibt. Er hat gemeint, dass ich in meinem Fanatismus für den Sport genauso kritiklos bin. Ich glaube aber, dass man vielen Sportlern unrecht tut, wenn man nach einer Wunderleistung gleich sagt: Der war sicher gedopt. Das stimmt sicher nicht immer.

STANDARD: Russland wird ja vorgeworfen, Doping staatlich zu organisieren.

Bergmann: Ja, auf einer breiten Ebene wie damals in der DDR. Das politische Credo des Präsidenten Erich Honecker lautete: Sport ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Der Zweck war, die weltweit unbeliebte DDR zu einem grandiosen Land zu machen. Dieses Land ist durch den Sport Realität geworden. In 32 Jahren haben sie 578 olympische Medaillen errungen, davon 203 in Gold.

STANDARD: Olympia ist ja immer hochpolitisch.

Bergmann: Wann immer die Politik ihre Pratzen dabei hatte, war es schlecht. Seit München 1972 sind Olympische Spiele ja Kriegsschauplätze. Avery Brundage (Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Anm.) rannte damals einem österreichischen Gewichtheber nach, weil der auf seiner Trainingstasche ein Logo hatte. Er hat ihm mit dem Rauswurf gedroht. Heute kannst du als Sportler ein Milliardär werden. Der Sport hat sich wahnsinnig geändert.

Nach Büchern über Hans Orsolics (2007) und Toni Sailer (2009) hat Bergmann "Aus dem Notizbuch eines Sportreporters" geschrieben.
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STANDARD: Und auch die Sicherheitsvorkehrungen.

Bergmann: Ja, 2012 bin ich in London vor der Boxhalle von einer Frau genau kontrolliert worden. Als Diabetiker habe ich meine Injektionsnadel immer dabei. Ich habe sie ihr gezeigt und ihr damit ins Gesicht gespritzt. Sie hat gesagt: Sie brauchen mir das nicht vorzuspielen, mein Mann ist auch Diabetiker. Am dritten Tag hat sie mir eine Diabetikertorte gebracht. Das ist sehr schön, und ich war ihr "Sweet Boy from Vienna". Alles hat mehrere Seiten.

STANDARD: Muhammad Ali war ja eine Art Idol von Ihnen. Sie haben unzählige Kämpfe von ihm kommentiert. Wie haben Sie die Todesnachricht aufgefasst?

Bergmann: Das hat mich sicher getroffen, obwohl ich wusste, dass es ihm ganz schlecht geht. Bei einem Schwergewichtler in der Spitzenklasse liegt hinter einem Volltreffer die Wucht von 600 bis 700 Kilogramm. Bekommen wir da einen Treffer ab, sind wir tot. Ali war bereits mit 18 Jahren Olympiasieger, mit 13 Jahren hat er zu boxen begonnen. Laut Analysen hat er 30.000 bis 35.000 schwere Kopftreffer erhalten.

STANDARD: Und er hat zu spät aufgehört.

Bergmann: Sein Ringarzt hat ihn auf Knien gebeten, dass er aufhören soll. Das war furchtbar. Er hat zum Schluss Weltmeisterschaftskämpfe bestritten, bei denen er vorher mit zitternder Hand 20 Tabletten genommen hat, sonst wäre er gar nicht in den Ring gekommen. Da wurde an einem Menschen Raubbau betrieben. Er war fünfmal verheiratet, hatte neun Kinder und brauchte Geld.

STANDARD: Ein langjähriger Weggefährte war Toni Sailer. Welche Beziehung hatten Sie zu ihm?

Bergmann: Der Toni Sailer hat mit 20 Jahren aufgehört, ist dann Schauspieler geworden, weil er einfach ein Bild von einem Mann war: schön und gut. Das ist eine Seltenheit, obwohl unsere auch fesch sind. Alle. Er hat sechs verschiedene Krebse gehabt. Mich hat er gebeten, eine Biografie zu schreiben. Er hat jahrelang heldenhaft gekämpft bis zum Tod im Jahr 2009. Ich konnte mich verabschieden, indem ich das Begräbnis live übertragen durfte.

STANDARD: Ein anderer, jahrzehntelanger Wegbegleiter von Ihnen ist Hans Orsolics. Sie haben ihm nach seinem Absturz auf die Beine geholfen. Wie geht es ihm?

Bergmann: Einigermaßen passabel für sein Leben. Er wird demnächst 70, was bei seinem Lebenswandel ein Wunder ist.

Hans Orsolics und Sigi Bergmann, hier auf einem Foto aus dem Jahr 2009.
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STANDARD: Mit der Musik hat er damals seine Schulden abbezahlt.

Bergmann: Sehr viel davon. Durch den Schlager "I hab valuan". Der Komponist und Texter Charlie Kriechbaum hat einen Film von mir gesehen (Dokumentation im Jahr 1986, Anm.). Orsolics hat in einer kalten Wohnung gehaust. Nach dem Film sind Spenden in zehn verschiedenen Währungen eingegangen. Der Schlager war ein oder zwei Monate Nummer eins der Ö3-Hitparade und hat den Falco mit "Jeanny" von der ersten Stelle verdrängt.

Crazy Music Austria

STANDARD: Sehen wir Sie in vier Jahren noch einmal als Kommentator bei Olympia?

Bergmann: Ich glaube nicht. Es ist ja fast genant, einen 78-jährigen Reporter zu schicken, geschweige denn dann einen 82-jährigen. Diese Gedanken mache ich mir nicht. Jetzt bin ich froh und unendlich dankbar, dass es mir körperlich einigermaßen gut geht. (Oliver Mark, Sarah Dorfstätter, 30.7.2016)