Die 2001 eingeführte sogenannte Pazifische Lösung scheidet die Geister. Die einen kritisieren sie als unmenschlich. Andere, wie Österreichs Außenminister Sebastian Kurz, halten Australiens strikte Asylpolitik hingegen für effizient. Dabei werden Bootsflüchtlinge in Internierungslager in dem Inselstaat Nauru und auf die zu Papua-Neuguinea gehörende Insel Manus gebracht.

Die Bedingungen dort sollen schrecklich sein, das sagen zumindest jene NGOs, die anfangs Zutritt bekommen haben. Mittlerweile lässt Canberra aber kaum noch Informationen dazu nach außen dringen. Die australische Filmemacherin Eva Orner hat es nun geschafft, für ihre Doku "Chasing Asylum" Filmmaterial aus den Lagern zu erhalten und mit Menschen zu reden, die dort gearbeitet haben.

Trailer von "Chasing Asylum".
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STANDARD: Waren Sie überrascht, dass Sie, 15 Jahre nach dem Start der "Pazifischen Lösung", die Erste sind, die einen Film über Nauru und Manus Island dreht?

Orner: Als sich 2001 die "Tampa-Affäre" (siehe Wissen unten; Anm.) ereignete und sich dadurch die "Pazifische Lösung" ergab, war ich schockiert. Und hätte man mir damals gesagt, dass es sie 15 Jahre später immer noch gibt, hätte ich es nicht geglaubt. Ich dachte, das wird bald wieder abgeschafft. 2013, als Tony Abbott Premierminister wurde, war seine Kampagne gegen Flüchtlinge sehr hässlich. Ich dachte lange, irgendwer wird schon diesen Film drehen. Irgendwann sagte ich mir: Dann mach ich es halt selbst.

Aufnahmen aus Manus Island von "Chasing Asylum".
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STANDARD: Haben Sie diese Entscheidung je bereut?

Orner: Ich habe schon einige Filme über schwierige Themen gedreht, aber das war der schwierigste. Mitten in den Dreharbeiten dachte ich mir: Man kann diesen Film nicht machen. Er handelt von Orten, die man nicht betreten darf, und über die jene, die dort waren, nicht reden dürfen. Und dann wurde im Juli 2015 auch noch der Border Force Act verabschiedet. Demnach drohen jenen, die über das Geschehen in Nauru und Manus Island reden, bis zu zwei Jahre Haft. In meinem Film sprechen Leute, die dort gearbeitet haben, aber genau darüber, und ich zeige Filmmaterial aus den Lagern. Wir alle können also im Gefängnis landen.

Aufnahmen von Kindern aus "Chasing Asylum".
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STANDARD: Gab es schon Reaktionen von den australischen Behörden?

Orner: Der Film läuft seit etwa drei Monaten in Australien, und es gab kaum Reaktionen von Behörden- oder Regierungsseite. Erst als ich mit internationalen Medien wie BBC sprach, meinten sie, dass sie nicht glücklich damit wären. Ich denke, es geht der Regierung vor allem um Abschreckung. Damit die Flüchtlinge nicht versuchen, Australien zu erreichen. Damit Journalisten nicht probieren, in die Lager zu kommen. Und es funktioniert. Es kommen keine Flüchtlinge, und kaum jemand will über Nauru und Manus Island reden. Ich hatte Glück mit meinen Whistleblowern. Und es hat sich ausgezahlt, bislang hat der Film in Australien rund 500.000 Dollar eingenommen. Das ist außergewöhnlich für eine Dokumentation. Und auch der internationale Rechteverkauf läuft gut, im Ausland werden viele den Film in den nächsten sechs bis zwölf Monaten sehen. Und auch sehr wichtig: Der Film kommt in den Schullehrplan für 15- bis 18-Jährige.

Flüchtlinge im Inneren eines Zeltes auf Nauru.
Chasing Asylum

STANDARD: Wären Sie auf eine Klage vorbereitet?

Orner: Ich war sehr beunruhigt, weil meine Anwälte sehr beunruhigt waren. Aber sie haben mich und meine Informanten die ganze Zeit über beraten, und die Endfassung des Films ist etwas, mit dem alle einverstanden waren. Nun steht ein großes Team an Rechtsanwälten bereit, das mich und meine Whistleblower verteidigen würde. Diese Tatsache ist eigentlich schockierend, weil wir nur die Wahrheit über etwas berichten, das von australischen Steuerzahlern finanziert wird. Deshalb würden unsere Anwälte vermutlich den Border Force Act selbst rechtlich infrage stellen und sich auch auf Meinungsfreiheit berufen.

Ein Aufstand auf Manus Island.
Chasing Asylum

STANDARD: Wie haben Ihre Informanten auf den fertigen Film reagiert?

Orner: Bei der Premiere in Australien waren viele von ihnen da, dort haben sie zum ersten Mal den ganzen Film gesehen. Einige meinten, sie fühlen sich nun besser, fühlen sich nun nicht mehr so allein. Viele von ihnen hatten ja mit posttraumatischen Belastungsstörungen zu kämpfen, und sie alle weinten bei den Interviews.

STANDARD: Wie haben Sie die Informanten gefunden, und wie sind Sie zu dem Filmmaterial aus den Internierungslagern gekommen?

Orner: Das fragt mich jeder, aber ich darf es nicht verraten, weil trotz allem das Gefängnis droht. Was ich sagen kann: Man fängt an, Kontakte zu knüpfen. Und das führt zu weiteren Kontakten. Viele sagen dann, sie wollen nicht darüber reden. Aber bei den anderen entwickelt man eine Beziehung über mehrere Jahre, bis sie schließlich sagen: Okay, machen wir es. So ähnlich war es auch beim Filmmaterial. Journalisten und Filmemacher dürfen nicht in die Lager, also war ich darauf angewiesen, dass meine Whistleblower das aufzeichnen. Für Nauru verlangen sie 8.000 Dollar für ein Journalistenvisum. Sie behalten das Geld und geben dir trotzdem kein Visum. Was Manus Island betrifft, schaffte ich es zwar nach Papua-Neuguinea, aber wenn du mit einer Kamera nur in die Nähe des Lagers kommst, nehmen sie dir die Kamera weg und verprügeln dich.

Im Inneren eines Zeltes auf Manus Island.
Chasing Asylum

STANDARD: Was war das Schockierendste, was Sie auf dem Filmmaterial aus den Lagern gesehen haben?

Orner: Es gibt so viel Schockierendes darauf, etwa Menschen, die sich aus Protest den Mund zugenäht haben. Das Schlimmste ist wahrscheinlich, einfach die Bedingungen dort wirklich zu sehen: Die Menschen leben in Zelten, es herrscht eine tropische Hitze, und es gibt keinen Schatten, keine Privatsphäre. Viele von ihnen sind schon seit mehr als 1.000 Tagen dort. Und dann sieht man die kleinen Kinder, die eigentlich nichts anderes kennen. Sie sprechen sich untereinander nicht mit Namen an, sondern mit der ID-Nummer.

Zelte auf Nauru von außen.
Chasing Asylum

STANDARD: Die beiden größten Parteien Australiens unterstützen die Pazifische Lösung. Die Mehrheit der Bevölkerung scheint also auch nach 15 Jahren noch dahinter zu stehen.

Orner: Wir hatten gerade eine Parlamentswahl, und die beiden Parteien haben immer noch die klare Mehrheit. Andererseits: Vor der Wahl gab es eine Umfrage, bei der 48 Prozent der Befragten meinten, die Asylpolitik sei zu hart. Das ist ein großer Unterschied zu früher. Ich denke dennoch, dass wir von einem Wandel noch sehr weit entfernt sind, aber je mehr die Menschen darüber wissen, desto wahrscheinlicher ist er. Das ist ja das Grundproblem: Vor einigen Tagen gab es eine Filmaufführung vor einem wirklich intellektuellen Publikum, und kaum einer wusste von den Bedingungen in den Lagern. Viele denken, von den weltweit 65 Millionen Flüchtlingen wollen alle nach Australien. Dabei waren es nie mehr als 25.000 Flüchtlinge in einem Jahr.

Die Anlage auf Nauru.
Chasing Asylum

STANDARD: Was sollte Ihrer Meinung nach geschehen?

Orner: Wir sollten die Camps schließen und diese armen Menschen nach Australien bringen. Und wir müssen die Anzahl der vergebenen humanitären Visa erhöhen, von zuletzt 13.756 – damit sind wir weltweit an 67. Stelle – auf 50.000 im Jahr. Und es sollten, so wie in den 1970er-Jahren für die vietnamesischen Flüchtlinge, Registrierungszentren in Malaysia und Indonesien geschaffen werden. Wer dort als Flüchtling anerkannt wird, wird mit dem Flugzeug nach Australien geflogen. So gibt es auch keine Toten mehr im Meer. Australien war einer jener Staaten, die gleich zu Beginn die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet haben. Das Abkommen war eine Antwort auf den Holocaust, als viele Juden keine Zuflucht erhielten. Drei meiner Großeltern starben im Holocaust, meine in Polen geborenen Eltern kamen in den 1950er-Jahren nach Australien. Mir wurde ein tolles Leben in diesem Land zuteil, und deshalb macht es mich so wütend, wenn Australien die Genfer Flüchtlingskonvention missachtet. (Kim Son Hoang, 1.8.2016)