Stehen dunkle Wolken am Himmel, breitet er einen Müllsack über das Sofa: Mamadú zahlt 250 Euro für einen Acht-Quadratmeter-Verschlag mit leckem Dach. "Im Gefängnis", sagt er, "lebst du besser."

Foto: Heribert Corn

Zehn und weniger Quadratmeter Privatsphäre können zwischen 250 und 300 Euro im Monat betragen.

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Inklusive sind Betriebskosten, Wasser, Strom, theoretisch Kühlschrank und Fernseher.

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Geflüchtete Frauen aus Somalia im Quartier eines Vermieters, gegen den wegen Sachwucher ermittelt wird: "Immer weniger Österreicher sind bereit, an Flüchtlinge zu vermieten, der Kampf um die Wohnungen nimmt hässliche Ausmaße an", sagt die Wohnberaterin.

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300 Euro im Monat für neun Quadratmeter, ein Klo für zehn Personen – doch eine andere Wahl gibt es nicht: Oft reicht ein Blick auf den Ausweis, und der Vermieter schlägt die Türe vor der Nase zu.

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Das Unheil hat sich angekündigt, in Gestalt dunkler Wolken am Himmel. Ehe Mamadú um halb fünf Uhr früh nach St. Pölten zu einer Baustelle aufbrach, breitete er einen Müllsack über das Sofa. Doch diesmal prasselte der Regen zu stark auf das Holzdach, auf dem Polsterbezug prangt ein großer, nasser Fleck. Mamadú lässt sich aufs Bett fallen und vergräbt das Gesicht in den Händen. "Im Gefängnis", sagt er, "lebst du besser".

Mamadús Zimmer – treffender: Verschlag – war früher offenbar eine Terrasse. Durch den Raum führt eine Regenrinne, über dem Bett endet, nicht zu überhören, ein Lüftungsrohr. Backpapier an den Scheiben der Gartenfront schützt vor Sonne, das Fenster zur Nachbarwohnung hat der 38-Jährige mit Zeitungen abgeklebt. Hinter dem Sofa quillt Kleidung hervor, auf dem lückenhaft verlegten Laminatboden stehen eine Elektroherdplatte, Margarine und Öl, ein Eierkarton, ein paar Flaschen Eistee. Platz für Tisch und Kasten hat Mamadú nicht. Sein Refugium misst keine acht Quadratmeter.

Ein halbes Dutzend solcher Kojen gibt es im Erdgeschoss des zweistöckigen Altbaus im Wiener Bezirk Liesing, mehr noch oben in der Dachetage, einige haben nicht einmal ein Fenster nach draußen. Menschen aus Somalia, Algerien oder Guinea-Bissau sind es, die hier für zehn und weniger Quadratmeter Privatsphäre 250 bis 300 Euro im Monat berappen.

Viele flüchteten vor Krieg und Gewalt nach Österreich, manche – wie der aus Afrika stammende Portugiese Mamadú – aber auch vor wirtschaftlicher Not. Während zuhause kein Job zu finden sei, komme er hierzulande in guten Monaten auf 1400 Euro, erzählt der Gelegenheitsarbeiter, doch für einen Umzug reiche das noch lange nicht: "Ich muss zwei Kindern Geld schicken, 2500 Euro für eine Kaution hab ich nicht."

"Ein Klassiker", sagt Elisabeth Jama, für sie gehören solche Geschichten zum Alltag. Von versifften Matratzenquartieren, unterschlagenen Mieten, über Nacht verhängten Delogierungen berichten die Menschen, die im fünften Stock eines abgenützten Hauses in Margareten um Rat suchen. Woche für Woche stellen sich hier, bei der Wohnberatung des Flüchtlingsdienstes der Diakonie in Wien, mehr Klienten an. "Der Kampf um die Wohnungen", sagt Leiterin Jama, "nimmt hässliche Ausmaße an."

Innerhalb der letzten Monate sei das Angebot drastisch gesunken, hat die Beraterin beobachtet, trotz aller Vermittlungskampagnen der NGOs. Die sexuellen Übergriffe von Köln, die Terroranschläge in Frankreich: "Die Stimmung ist gekippt", sagt Jama, "immer weniger Österreicher sind bereit, an Flüchtlinge zu vermieten. Das treibt die Leute in die Fänge von Wucherern und Betrügern."

Besondere Handicaps

Oft reiche ein kurzer Blick auf ihren Ausweis, dass ihr ein Vermieter den Rücken zukehre, erzählt Salma*. Die 20-jährige Somalierin, von Kopf bis Fuß in bunt gemusterte Tücher gehüllt, lebt seit über vier Jahren in Österreich, man hört ihrem Deutsch die vielen Sprachkurse an. Doch bei der Wohnungssuche helfe ihr das nichts, sagt sie, "sobald klar ist, dass ich Flüchtling bin, höre ich ein Nein". Dass die Mutter eines eineinhalb Monate alten Buben nicht arbeitet, sondern von der Mindestsicherung lebt, schmälert die Chancen obendrein, und dann ist da noch ein besonderes Handicap: Der Staat gewährt Salma kein Asyl, sondern subsidiären Schutz, einen Art Flüchtlingsstatus zweiter Klasse, der alle zwei Jahre von neuem verlängert werden muss (siehe Flüchtlinge: Rechte und Restriktionen, Anm.). Da fällt die Tür bei Wohnungsbesichtigungen besonders rasch ins Schloss.

Am Geld liege es nicht, sagt Salma, sie könne mehr als zahlen als die 300 Euro, die sie im Liesinger Quartier hinblättert. Im Oberstock bekommt die Frau dafür handvermessene neun Quadratmeter, die wegen der Dachschräge aber nicht vollständig begehbar sind. Inklusive sind Betriebskosten, Wasser, Strom, theoretisch Kühlschrank und Fernseher – doch beide Geräte taugen, weil kaputt, nur als Ablage. Mit zehn anderen Bewohnern teilt sich Salma ein Klo, ein Bad und eine Küchenzeile; beherbergen die Algerier am Ende des Ganges wieder einmal Dauergäste, könnten es aber auch leicht um ein halbes Dutzend mehr sein. Bis tief in die Nacht lärmten die Männer oft, Salma geht ihnen, gerade seit das Kind auf der Welt ist, möglichst aus dem Weg: "Sind sie da, bleibe ich im Zimmer."

Ihren Vermieter nennen die Bewohner Abu Saed, er ist auf Massenquartiere spezialisiert. Immer wieder mietet Hamed Ali S. – der volle Name des gebürtigen Irakers ist dem STANDARD bekannt – in Wiener Häusern Stockwerke an, um in mit Rigipswänden unterteilte Kammerln möglichst viele Untermieter hineinzupacken. Ob die Preise nicht völlig überzogen seien? S. kontert mit einem ausgiebigen Lamento. Unverschämt seien nur manche der Bewohner, die Mobiliar demolierten und ihn um die Miete prellten. Nein, Gewinn bringe ihm das Haus in Liesing keinen, klagt er, nur Ärger: "Bald gebe ich das Ganze auf."

Das hat S. freilich schon vor drei Jahren behauptet – und trotzdem weitergemacht. Damals berichtete der STANDARD zum ersten Mal über eine seiner Unterkünfte, ein voll gepferchtes Altbaugeschoß in der Brigittenau. Das Prinzip des mittlerweile aufgelassenen Quartiers war das gleiche wie in Liesing, die Qualität – vom desolaten Inventar bis zur Ungezieferinvasion – aber um einiges mieser.

Über Zustände wie diese ist auch in einem Akt zu lesen, der bei Gericht aufliegt. Ein paar Monate nach dem damaligen Artikel hat die Staatsanwaltschaft begonnen, gegen Hamed Ali S. zu ermitteln. Der Vorwurf lautet auf Sachwucher: Strafbar macht sich, wer die Zwangslage oder Unerfahrenheit eines anderen gewerbsmäßig "ausbeutet", sodass der Profit "in auffallendem Missverhältnis zum Wert der eigenen Leistung steht". Dass dies bei 300 Euro für zehn Quadratmeter der Fall sei, drängt sich Walter Rosifka, Mietrechtsexperte der Arbeiterkammer, auf. Für eine Substandard-Bleibe dieser Größe dürfe die Miete maximal 85 Euro betragen, kalkuliert er, und da seien Gas, Strom und Betriebskosten eingerechnet: "Was soll der dreieinhalbfache Preis dann anderes sein als Wucher?"

Gegen einen früheren Kompagnon von Hamed S. liegt bereits eine Anklage vor, allerdings wegen eines anderen Geschäftsmodells. In über 20 Fällen soll Hussein Al N. Wohnungen vermittelt, Mietzahlungen aber nicht an die Eigentümer überwiesen haben. Die Staatsanwaltschaft kommt auf 149.386,52 Euro, um die sich N. bereichert habe, sie wirft ihm gewerbsmäßig schweren Betrug vor; es gilt die Unschuldsvermutung. N. sitzt in Untersuchungshaft, der Prozess startet am dritten August.

Drohungen per SMS

Auch Herr Singh hat mit der Aldiar KG, einem ehemaligen Unternehmen N.s, einen Mietvertrag abgeschlossen. Mehrmals wechselte der Firmenstempel auf den monatlichen Quittungen, mittlerweile hat der Afghane den Überblick verloren, an wen genau – Vermittler oder Eigentümer – er überhaupt zahlt. Nicht vereinbarte Extrazahlungen versuche "der neue Chef" einzutreiben, erzählt Singh und zeigt ein an die acht Flüchtlingsfamilien im Haus versendetes SMS: "der, der nicht zahlt morgen, werde ich Schloss tauschen."

Obwohl mit einem Mietvertrag bis 2017 ausgestattet, droht der Familie Singh, die in Österreich Asyl bekommen hat, nun der Rauswurf – oftmals die Folge, wenn ein Vermittler dem Hauseigentümer Geld vorenthält. "Wo soll ich mit meiner Frau und zwei Kindern hin?", fragt der Vater, der beim Wohnungssuchen schon einmal reingelegt wurde. 3200 Euro hatte er an Kaution gezahlt, ohne je einen Schlüssel ausgehändigt zu bekommen. Das letzte Lebenszeichen des angeblichen Vermieters kam per SMS: "Hallo kein Stress, ich melde mich am Nachmittag."

Sie habe schon erlebt, wie einer Familie am Neunten eines Monats eröffnet wurde, dass sie am Zwölften raus muss, erzählt Diakonie-Beraterin Jama. Das Spektrum der Abzocke sei breit: Vermittler setzten schwindlige "Beherbergungsverträge" auf, quartierten Leute mithilfe gefälschter Unibestätigungen in Studentenheimen ein, vercheckten auch noch das schimmeligste Loch, in dem nicht einmal Wasser und Heizung funktionierten. "Flüchtlinge haben oft wenig Ahnung, was in Österreich erlaubt ist", sagt Jama, schon der Unterschied zwischen Kalt- und Warmmiete sei vielen fremd.

Jama und ihr Team klären auf, loten Eingreifmöglichkeiten aus und legen die Rutsche zu anderen Institutionen, von der Mieterhilfe bis zur Notschlafstelle. Nicht bieten können sie – so steht es fett und unterstrichen auf der Homepage – das, was sich mancher Klient erhofft: Wohnraum. Zwar verfügt die Diakonie über 90 Startwohnungen für Flüchtlinge, doch die Warteliste ist heillos überfüllt.

Fehlende Begleitprogramme

Es fehle an Programmen, um geflüchtete Menschen beim Sprung aus staatlicher Obhut in die Selbstständigkeit zu begleiten, sagt Christoph Pinter, und an leistbarem Wohnraum. Weil die rechtlich benachteiligten subsidiär Schutzberechtigten besonders dankbare Opfer für Miethaie seien, fordert der Chef des Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Österreich eine Gleichstellung der Gruppe mit Asylberechtigten. Passiert ist jedoch eher eine Angleichung nach unten. Das neue Konzept Asyl auf Zeit hintertreibe die Chancen regulärer Flüchtlinge am Wohnungsmarkt, warnt Pinter, schließlich bevorzugten seriöse Vermieter längerfristige Bindungen – und eine Kürzung der Mindestsicherung würde Flüchtlingen erst recht "den Boden unter den Füßen wegziehen".

Wer in prekären Verhältnissen lebt, habe wenig Kopf für Deutschkurse und Weiterbildung, sagt der UN-Vertreter – ein Lehrstück für gescheiterte Integration? Für das Thema Wohnen seien die Länder zuständig, lautet die Antwort aus dem Büro von Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP). Aber gebe es Hinweise auf Missstände, mache man natürlich Druck: "Wir gehen auch Einzelfällen nach."

Das tue die Stadt Wien schon länger, versichert Peter Hacker. "Wir kennen das Problem", sagt der kommunale Flüchtlingskoordinator, sieht aber kein Massenphänomen. Von der Schlichtungsstelle bis zur Eingreiftruppe gebe es "eine ganze Klaviatur" zum Gegensteuern, das "offensive" Wohnbauprogramm nicht zu vergessen. Was jedoch fehle, sei ein strengeres Mietrecht. Als die Stadt gegen ein Matratzenlager in einem einstigen Pferdestall vorging, musste sich die Behörde mit einem Umweg über die Bauordnung behelfen, sagt Hacker: "Wir haben Verordnungen für Schweineställe, aber keine Qualitätsstandards für Mietwohnungen."

Keinen Ausweg bietet für viele Asylberechtigte in Wien der Gemeindebau. Wer eine Wohnung will, muss davor zwei Jahre an derselben Adresse in der Stadt gemeldet sein, jüngst beschlossene Vergaberegeln bevorzugen Langzeitwiener ab fünf Jahren Aufenthalt. Subsidiär Schutzberechtigte sind generell ausgesperrt. Für Hacker ist denkbar, dies in Zukunft einmal zu ändern – aber erst wenn der "Druck" der vielen Gemeindebauaspiranten nachgelassen habe.

Keine andere Wahl

Die Bewohner im Liesinger Haus können nicht so lange warten, sie müssen Mitte September raus. Er gebe das Quartier freiwillig auf, behauptet Vermieter Hamed S., doch STANDARD-Recherchen legen eine andere Erklärung nahe. Demnach dürfte die Eigentümerin – sie war nicht erreichbar – dem Vermittler gekündigt haben.

Verzweiflung macht sich breit in den engen Gängen, Besucher erwartet die immer gleiche Frage: "Kennen Sie eine Wohnung für mich?" Ein Wahnsinn seien die 300 Euro für sein dunkles Loch mit Bett und windschiefem Resopalkasten, sagt ein Somalier, doch soll er sich beschweren? Der junge Mann weiß: Er könnte gezwungen sein, dem alten Vermieter in ein neues Quartier zu folgen.

Diese Vorahnung beschleicht auch Landsfrau Salma. Sie traue Hamed S. nicht, sagt sie, "doch letztlich war er gut für uns. Gäbe es ihn nicht, würde ich vielleicht auf der Straße stehen." (Gerald John, 30.7.2016)