Ein großes Geheimnis hatte die Musikarbeiterinnen-Kapelle aus den "very special guests" gemacht, die sie zur Eröffnung des Popfests am Donnerstag mitbringen würde. Maurice Ernst von Bilderbuch und Conchita Wurst könnten dabei sein, verhießen Gerüchte. Nun, selbst gesungen haben diese beiden nicht, aber anwesend waren sie in gewisser Weise doch, als sich das symphonische Blasorchester aus Wien unter Mitwirkung vieler anderer namhafter Vokalisten g’schreams durch die Popgeschichte coverte – und nebenbei "Rise like a Phoenix" zur Polka machte.

Der (zugereiste) Wiener Liedermacher Voodoo Jürgens eröffnete mit seiner Band das Popfest. DER STANDARD traf ihn vorab zum Interview.
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Davor hatte das österreichische NDW-Urgestein Rudi Nemeczek (Minisex) im Duett mit Popfest-Kuratorin Ankathie Koi (Fijuka) den Bilderbuch-Hit "Maschin" gesungen und Hip-Hopper Skero sich an Falcos "Rock Me Amadeus" versucht. Auf die Metaebene ging es, als Koi das düstere Laibach-Cover von Opus' "Life is Life" coverte. Auch mit Rapperin Yasmo, die den Outkast-Hit "Hey ya" zu "Servas" umtextete, oder Popperin Clara Luzia gelangten indes ein paar Altbekannte auf die Popfest-Bühne, was Kurator Gerhard Stöger und Koi im Sinne der Innovation ansonsten vermieden.

Ausgelassene Aneignungsorgie

Gesanglich war die Blasmusik-Karaoke-Show stellenweise recht durchwachsen, geriet zum Drüberholzen. Aber gut, die Probenorganisation mit "very special guests" und vielköpfigem Blasorchester stellt man sich schwierig vor. Und überhaupt ging es ja, wie sich das für einen Pop gehört, sowieso mehr ums Gefühl. Und um eine ausgelassene Feier des Verfremdungseffekts, anlässlich derer die Eingeladenen sich mitunter recht weit aus ihrer "comfort zone" bewegten. Etwa Willi Landl, der die Britney Spears gab. Respektive "zur Kenntlichkeit entstellte", wie man so schön sagt.

Eigentlicher Eröffnungsakt des viertägigen Festivals der jungen österreichischen Musikszene war indes Voodoo Jürgens. Ein gehypter Vertreter des "Neuen Wienerlieds" nach Art etwa Ernst Moldens, holt Jürgens all jene Dialektpoesie in seine Kunst, die sich wohl tausend Mal am Tag in Beisln am Stadtrand abspielt, dort allerdings oft schneller verglüht, als sie ihren Weg in ein Mikrofon findet.

Anti-Gabalier

Behängt mit Goldketterl schlüpft der Vokuhila-Träger gekonnt in die Rolle eher trister, schwarzpädagogisch geprägter Existenzen, die sich gegenseitig das "G'nack brechen" wollen, es aber eigentlich eh gut meinen: "Mir is wurscht, wo du her bist … wichtig is nur, dass du do bist". Wenn er die Ottakringer-Dose hoch in die Luft reckt, erkennt man in ihm zwischenzeitlich aber auch eine Art Anti-Gabalier: "A gscheida Bua … is ned g'schneizt und ned kampelt". Da würde "Österreichs Musikexport Nr. 1" eher nicht unterschreiben.

Unterm Strich beschert Jürgens einerseits "Blicke in die österreichische Seele", die in guten Momenten an Mundl oder Qualtinger erinnern können. Andererseits ermüdet sein sozusagen milieubedingt grölend-sudernder Gesang live ziemlich schnell, zumal die Musik seiner "Anserpartie" meist vor allem zweckdienlich ist. Trotz allem sollte man Songs wie etwa "Heite grob ma Tote aus" ("Heite taunz ma mit de gressten Feind …") nicht unterschätzen. Eine Zeile daraus – "Heite samma freundlich, wenn uns was nicht passt" – erkor Koi gleich zum (inoffiziellen) Motto des Festivals.

Kritisches Bewusstsein und sinnlicher Genuss

Unverbrauchter und reizvoller jedenfalls war der Wienerlied-Ansatz, den das Duo Musser (Tanz Baby!) und Schwamberger später im Wien-Museum präsentierte: Statt in Vorstadtbars ging es dort zu einfühlsamen Gitarren- und Klarinettensounds in "metaphysische Beisln". In solche, wo "Kafka und Karl Kraus tarockieren" und Jandl ein "grausliches Gstanzl" sagt, während Bachmann und Celan schmusen. Richtig: Wie schon in seinem fabelhaften Soloprojekt Laokoongruppe schließt Karl Schwamberger auch weiterhin kritisches Bewusstsein und Belesenheit mit sinnlichem Genuss kurz.

In diesem Sinne holt er Begriffe ins Wienerlied, für die selbiges nie erdacht worden ist: Hier reimt sich das "Transzendenta-hale Ganze" etwa auf "die einzige Frau, mit der ich je wieder tanze". Und hier liefert man in betörend langgezogenen Melodien auch gleich die Metaebene dazu: Ein Wienerlied voller "sozialdemokratischer Fairness" wolle man singen, heißt es etwa einmal. Schade war einzig, dass die Akustik im Wien-Museum der Textverständlichkeit nicht gerade dienlich war.

Ein Sturm namens Grant

Am Popfest lieferten Musser und Schwamberger mit ihrem, sagen wir, Diskurswienerlied die Ruhe vor einem Sturm namens Grant. Das ist jene Band, die laut Kurator Stöger die nächsten Wanda werden könnten. Ob just dieses Kunststück gelingt, bleibe vorläufig dahingestellt. Rocken und Liederschreiben können die Burschen, die sich nach einem Song des Nino aus Wien benannten, schon einmal sehr gut, und der charismatische Frontmann legt jedenfalls den richtigen Grad an Verhuschtheit an den Tag. Allein: Texte über Verwandte oder ein Refrain wie "Wir wollen nie wieder nach Triest" – zur Erinnerung: Wanda besangen seinerzeit "Bologna" – erwecken dann doch (und wenn nur missverständlicherweise) leise Zweifel, ob man sich nicht zuerst ein bisschen mehr vom übermächtigen Vorbild emanzipieren muss. (Text: Roman Gerold, Video: Sarah Brugner, Michael Luger, 29.7.2016)