Schals mit dem Konterfei von Staatspräsident Erdoğan werden in Ankara verkauft.

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Istanbul – Nach dem gescheiterten Putschversuch will die türkische Staatsanwaltschaft die Privatvermögen von suspendierten Richtern und Staatsanwälten beschlagnahmen lassen. Betroffen sind 3.049 Richter und Staatsanwälte mit mutmaßlichen Verbindungen zur Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, deren Festnahme bereits angeordnet worden sei, meldete die Nachrichtenagentur Anadolu am Donnerstagabend.

Die Juristen sind bereits vom Dienst freigestellt. Beschlagnahmt werden sollen unter anderem Immobilien, Bankkonten und Fahrzeuge. Die Regierung macht den in den USA lebenden Gülen für den Putschversuch vom 15. Juli verantwortlich. Nach Angaben des Innenministeriums saßen am Mittwoch mehr als 1.600 Richter und Staatsanwälte in Untersuchungshaft. Die Regierung wirft der Gülen-Bewegung vor, den Staat unterwandert zu haben. Gülen wurde in der Vergangenheit großer Einfluss im Justizbereich nachgesagt.

Prominente Unternehmer festgenommen

Die Aktionen gegen angebliche Putsch-Unterstützer richten sich nun auch gegen Wirtschaftstreibende. Drei prominente Unternehmer wurden laut Anadolu am Freitag festgenommen: der Chef des Boydak-Konzerns, Mustafa Boydak, und zwei weitere Mitglieder der Unternehmensleitung, Şükrü und Halit Boydak. Zudem wurde Haftbefehl gegen Ex-Konzernchef Hacı Boydak und die Verwaltungsratsmitglieder İlyas und Bekir Boydak erlassen.

Laut Anadolu stehen die Ermittlungen im Zusammenhang mit den finanziellen Aktivitäten der Gülen-Bewegung. Die Boydak-Holding ist im Energie- und Finanzsektor aktiv und besitzt die bekannten Möbelmarken İstikbal und Bellona.

USA kritisieren Säuberungen in Armee

Die Säuberungsaktionen in der Armee behindern nach Ansicht der USA den Kampf gegen die Extremistenmiliz "Islamischer Staat". "Viele unserer Gesprächspartner sind entlassen oder verhaftet worden", sagte Geheimdienstdirektor James Clapper am Donnerstag. Das sei ein Rückschlag und erschwere die Zusammenarbeit mit dem Nato-Staat. Betroffen sei der gesamte Sicherheitsapparat.

Opposition warnt vor Hexenjagd

Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu von der Mitte-links-Partei CHP warnte Präsident Recep Tayyip Erdoğan vor einer "Hexenjagd auf Unschuldige". "Journalisten zu verhaften wird unserer Demokratie schaden", sagte er der deutschen "Bild"-Zeitung. Dennoch verteidigte Kılıçdaroğlu das harte Vorgehen gegen die Gülen-Bewegung, die auch er hinter dem Putschversuch vermutet. "Es gibt starke Anzeichen dafür, dass Teile dieser zusammen mit Einzelnen beim Militär hinter dem Putsch stecken." Erdoğan müsse jedoch schärfer kritisiert werden. "Nicht nur Frau Merkel, sondern alle EU Institutionen können sich viel deutlicher und viel lauter gegen die undemokratischen Sitten aussprechen."

Zuletzt hatte Erdoğan die Schließung von drei Nachrichtenagenturen, 16 Fernsehstationen, 23 Radiosendern, 45 Zeitungen, 15 Magazinen und 29 Verlagshäusern und Pressevertrieben angeordnet. Mit demselben Erlass wurden 1.684 Offiziere unehrenhaft aus der Armee entlassen, davon 149 im Generalsrang.

Armeechef bleibt im Amt

Armeechef Hulusi Akar bleibt hingegen im Amt. Erdoğan habe die entsprechende Entscheidung des Obersten Militärrats genehmigt, erklärte sein Sprecher İbrahim Kalın am Donnerstagabend. Akar war vor zwei Wochen von den Putschisten gefangen genommen, später aber befreit worden.

Hahn: Flüchtlingsabkommen nicht in Gefahr

Trotz der Wirren sieht EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei nicht in Gefahr. "Die Flüchtlingswelle ist gestoppt", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". "Das sollte Europa auch selbstbewusst sagen. Heute geht es darum, dass wir der Türkei helfen, die finanzielle Last durch drei Millionen Flüchtlinge mit zu schultern." (APA, red, 29.7.2016)