Wien – Dass sie als gesetzestreue Unternehmerin den kürzeren zieht, macht Rita Huber "sprachlos vor lauter Grant". Registrierkasse hat sie schon und die Lastenradfahrer, die ihr vegetarisches Essen in Wien ausliefern, sind allesamt angestellt. Gesetze in Österreich auch umzusetzen, sieht Infrastrukturminister Jörg Leichtfried (SPÖ) als "gewisse Herausforderung". Derer gibt es auch verkehrspolitisch genug.

STANDARD: Wie sind Sie denn hergekommen?

Huber: Mit dem Rad.

Leichtfried: (seufzt) Dienstwagen.

STANDARD: Klassisch.

Leichtfried: Nicht ganz. Ich fahre relativ oft U-Bahn, insbesondere vom Ministerium zum Bundeskanzleramt. Da bin ich mindestens sieben Minuten schneller.

STANDARD: Sie schicken jeden Tag Lastenräder mit vegetarischem Essen quer durch Wien. Haben Sie politische Anregungen für den neuen Verkehrsminister?

Huber: Was ich mir als Fahrradfahrerin wünsche, ist eine verbesserte Infrastruktur in der Stadt für Fahrräder. Da tut sich einiges, das ist am Wachsen. Was mich persönlich immer nervt, ist, dass es sich bei den Radfahrern oft staut. Viele Radler sind dann hektisch unterwegs – und das führt oft dazu, dass Regeln ignoriert werden. Ich bin grundsätzlich für ein Regelwerk auch für Radfahrer. Ich glaube, da kann man in Richtung Amsterdam oder anderer großer Fahrradstädte noch etwas tun, um das Radfahren attraktiver zu machen. Wenn unsere Lastenräder unterwegs sind, gibt es heikle Situationen, an denen niemand schuld ist. Am Ende zieht der Radfahrer den Kürzeren – oder der Fußgänger.

STANDARD: Braucht es mehr Regeln für Radfahrer, für deren eigene Sicherheit?

Leichtfried: Ich glaube, die Regeln, die es gibt, würden reichen, wenn man sie einhielte. Andererseits – wie Sie gesagt haben –, wenn dann die Situation schon so ist, dass man die Regeln fast nicht mehr einhalten kann, weil schon zu viele unterwegs sind, ist es natürlich schwierig. Wir müssen dafür sorgen, dass das System sicherer wird und Fehler verzeiht. Gerade bei Kreuzungen ist es so: Eine Ampel wird manchmal über sehen, und wenn das passiert, sind die Folgen oft gravierend. Dann muss man überlegen: Ist die Ampel das beste System für so eine Kreuzung, oder gibt es etwas anderes, wo ein Fehler nicht so ein großes Problem verursacht?

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STANDARD: Frau Huber, Ihr Unternehmen setzt sich für ein "gesundes, autofreies Wien" ein. Gehören diese beiden Begriffe zusammen?

Huber: Unser Konzept ist, dass wir vorwiegend Büros, Unternehmen, aber auch Privatpersonen mit gesundem, vegetarischem Essen beliefern wollen. Und die logische Konsequenz war für uns das Lastenrad – das schließt natürlich "autofrei" ein.

STANDARD: Ist das Radfahren an sich gesünder – wie Ihr Essen?

Huber: Für unsere Lastenradfahrer definitiv, auch wenn ich nicht weiß, wie es am Gürtel mit den Abgasen ausschaut. Aber wir wollen einen Beitrag leisten zu einem Stück mehr autofreien Wien. Dass es ganz autofrei geht, ist natürlich utopisch. Aber ich denke, wir setzen schon ein Zeichen mit der Sichtbarkeit im Stadtverkehr, das ist uns ein Anliegen.

STANDARD: Würden Sie dann Gesundheitspolitik betreiben, wenn Sie das Autofahren weniger attraktiv machten?

Leichtfried: Es ist klar, dass jede Form von körperlicher Bewegung – da gehört Radfahren dazu, aber auch Zufußgehen – gesund ist. Wenn man Menschen dazu bewegt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie gesünder leben, etwas höher. Garantie gibt es natürlich keine.

STANDARD: Wie gehen Sie das politisch an?

Leichtfried: Ich glaube, die Kombinationsmöglichkeit ist für Radfahrer wichtig. Etwa dass es unkomplizierter wird, das Rad im Zug mitzunehmen. Wir haben auch noch keine Lösung für Busse. Da müssen wir uns Konzepte überlegen. Eine andere Frage ist die Sicherheit beim Radfahren. Die Kombination Fahrrad und Lkw ist nicht sehr gesund manchmal. Was kann man da tun? In die Londoner Innenstadt dürfen beispielsweise nur noch Lkws fahren, die einen speziellen Schutz für Radfahrer auf der Seite haben. In Stockholm versucht man komplett zu trennen – also dort, wo es möglich ist, keine Begegnungszonen mehr zwischen verletzbaren Verkehrsteilnehmern und weniger verletzbaren Verkehrsteilnehmern zu schaffen.

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STANDARD: Frau Huber, Sie haben Amsterdam als große Fahrradstadt erwähnt. In Österreich gibt es keine einzige Stadt, die man so bezeichnen würde. Woran liegt das?

Leichtfried: Graz hat’s versucht …

Huber: (lacht) … versucht, ja.

Leichtfried: Der Vizebürgermeister Erich Edegger hat damals (in den 1980ern, Anm.) wirklich versucht, das auf den Weg zu bringen, aber in Wahrheit ist es dann nichts geworden. Ich kenne zum Beispiel Straßburg sehr gut, weil das Europäische Parlament dort ist. Dort kann man beim Bahnhof Räder ausborgen. Das ist für mich ein ideales System. Straßburg ist von der Größe auch mit Graz vergleichbar. Dafür brauche ich einen massiven Radwegausbau, dann funktioniert’s.

Huber: Ich glaube, Autofahren ist gerade in Wien – ich will nicht sagen: viel zu attraktiv, aber Autofahren ist praktisch. Man ist ja mit dem Auto wirklich schnell überall.

Leichtfried: Wobei es aber in Wien, glaube ich, eine Generationenfrage ist und die Jungen das Auto gar nicht mehr als Prestigeobjekt sehen. Das ist natürlich ein Phänomen einer Großstadt, wo öffentlicher Verkehr sehr gut durchdacht ist. Wenn du im Waldviertel oder in Eisenerz oder sonst wo bist, funktioniert das nicht so. Da sind auch die Anforderungen an öffentlichen Verkehr anders. In Wien ist jetzt der Preis wichtig. Anderswo ist es wichtig, dass es überhaupt etwas gibt.

Huber: Die Generationenfrage finde ich interessant. Mein Vater hat mir vor ein paar Tagen erzählt: Er hat vor 45, 50 Jahren in Wien studiert und hat einen grünen VW Käfer besessen. Damit ist er von der Josefstadt jeden Tag auf die veterinärmedizinische Uni gefahren – und hat sich nichts dabei gedacht. Das findet er jetzt völlig idiotisch.

STANDARD: Von Herrn Leichtfried hört man viel über öffentliche Verkehrsmittel – er verteidigt auch die großen Bahntunnelprojekte leidenschaftlich. Sehen Sie sich als Radfahrerin ausreichend vertreten?

Huber: Ich bin primär Radfahrerin, aber auch Zugfahrerin – da habe ich nichts dagegen.

Leichtfried: Das ist einmal etwas.

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STANDARD: Sie haben Ihr Unternehmen 2014 gegründet – das war dem Vernehmen nach nicht immer ein Spaziergang. Wie leicht oder wie schwer tut man sich als Unternehmerin in Österreich?

Huber: Ich habe das Unternehmen mit meinem Schwager gegründet – das ist innerhalb von zwei Monaten passiert, von der Idee bis zur ersten Lieferung. Für mich war ein großer Vorteil, dass ich einen Abschluss an einer österreichischen Uni habe. Das reicht nach wie vor als Berechtigung für das Betreiben eines Gastronomiebetriebs. Ich habe das nicht glauben wollen, aber es ist so. Dann haben wir fürchterlich viel Leer- und Lehrgeld bezahlt, weil wir nicht beraten wurden. Ich hätte mir da echt vonseiten der WKO oder anderer Förderstellen erwartet, dass ich auf Dinge hingewiesen werde.

STANDARD: Bei vielen Unternehmern hat sich die Regierung mit der Registrierkassenpflicht unbeliebt gemacht.

Huber: Die Registrierkasse ist für uns kein Problem, weil wir von Anfang an nur so gearbeitet haben. Es gibt Lieferscheine, und es gibt Rechnungen. Ich habe alle Fahrer angestellt – also ich habe kein Schwarzgeld. Ich bin die Ausnahme in der Gastronomie, mittlerweile wird es ein bisschen besser. Was mich wirklich täglich nervt: Wir können keinen fairen Wettbewerb führen. Solange es Gastronomiebetriebe gibt, die immer noch schwarz kassieren und ihre Mitarbeiter nicht ordentlich anstellen, wird einfach der Preis nie vernünftig sein. Das macht mich sprachlos vor lauter Grant.

STANDARD: Offenbar geht der Staat davon aus, dass Akademiker zwar gut kochen können, aber die Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb gibt es noch nicht.

Leichtfried: Man muss immer unterscheiden zwischen dem Legalstatus – also: was ist erlaubt –, und der ist ja ohnehin so, wie die Frau Huber das wahrscheinlich gerne hätte. Und dann muss man schauen, was wirklich passiert – das ist die andere Seite. Da geht es um Kontrollen und Vollzug der Gesetze. Da gibt es in Österreich natürlich schon eine gewisse Herausforderung, das auch so umzusetzen. Man sieht ja: Wenn Maßnahmen wie die Registrierkassa ins Leben gerufen werden, die eigentlich den Sinn und Zweck haben, dass nicht mehr schwarz kassiert wird, bricht ein politischer Unmutssturm über die los, die das machen wollen. Da ist Österreich nicht so korrekt, wie es andere Länder sind. Hier gibt es die Mentalität, dass Gesetze Handlungsempfehlungen sind und nicht etwas, das einzuhalten ist.

STANDARD: Ist das Unternehmen von Frau_Huber innovativ genug für das Start-up-Paket der Regierung?

Leichtfried: Ich will einer Beurteilung nicht vorgreifen, weil das die Spezialisten machen und nicht der Minister. Aber ich bin persönlich vom Konzept begeistert.

STANDARD: Herr Minister, Sie arbeiten seit zwei Monaten in Wien – haben Sie schon mal bei Frau Huber bestellt?

Leichtfried: Nein, aber das wird jetzt nurmehr eine Frage von Tagen sein. Wobei ich sagen muss, ich esse zu Mittag eher wenig, weil ich dann müde werde. Deshalb esse ich dann am Abend lieber.

Huber: Das Essen kann man ja bis in die Abendstunden aufheben oder für den nächsten Tag.

Leichtfried: Ich leide noch unter nicht vorhandener Wohnung, da ist es eher schwer mit dem Aufwärmen. Noch lieber würde ich gemeinsam mit Ihnen kochen. (Sebastian Fellner, 31.7.2016)