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Das Misstrauen sitzt tief: Der türkische Staatspräsident Erdoğan will die Armee nach dem gescheiterten Putsch umbauen. Generalstabschef Akar hat von der Verschwörung nichts mitbekommen.

Foto: Reuters / Präsidential Palace / Kayhan Ozer

Ankara/Athen – Es war lange die Geheimmesse der kemalistischen Republik, kalt und verschwiegen, niemandem gegenüber rechenschaftspflichtig. Zweimal im Jahr tritt in der Türkei der Oberste Militärrat zusammen: ein Dutzend Generäle und als Garnitur zwei Politiker – der Regierungschef und sein Verteidigungsminister. Erst Tayyip Erdoğan hat der türkischen Armee die Flügel gestutzt, so dachte alle Welt. Doch nach dem gescheiterten Putsch vor zwei Wochen kommt nun eine gedemütigte und orientierungslose Militärführung zusammen. Die "stärkste Armee der Welt", wie sie viele Türken nennen, ist kaputt.

Die August-Sitzung gilt als die wichtigere Sitzung des Militärrats. Dort fallen die Personalentscheidungen. Dieses Mal aber führt nur noch Staatspräsident Tayyip Erdoğan Regie. Er hat die üblicherweise dreitägige Sitzung auf einen Tag zusammengestrichen und von der ersten Augustwoche auf Donnerstag vorgezogen. Erdoğan macht Tempo, er will nicht länger ein Vakuum in der Führungsstruktur der Armee.

Erstmals auch wird der Oberste Militärrat am Sitz des Premierministers tagen und nicht im Generalstab in Ankara. Es gilt als Zeichen für den Führungsanspruch der Zivilisten. Und für Erdoğans Misstrauen: Seinen Regierungschef will er nicht allein in das Gebäude des Generalstabs schicken. Ein zweiter Putsch oder ein Attentat auf einen hochrangigen Politiker sind immer noch denkbar.

Armeechef soll bleiben

Noch am Mittwoch lud der Staatspräsident seinen Premier Binali Yildirim und Armeechef Hulusi Akar zu sich. Erdoğan, so heißt es, wolle sowohl Akar als auch den kompromittierten Geheimdienstchef Hakan Fidan zunächst behalten, aber dann bald austauschen. Genau 8.651 türkische Soldaten beteiligten sich am Putsch, so teilte die türkische Armee am Mittwoch mit; nur 1,5 Prozent des Personals, rechnete der Generalstab der Öffentlichkeit zur Beruhigung vor. Doch der Armeechef hatte die Vorbereitungen für den Coup, die bis zu seinem eigenen Adjutanten reichten, nicht mitbekommen.

Und gar so klein war der Kreis der mutmaßlichen Verschwörer nicht: 163 Generäle und Admiräle wurden bisher festgenommen – knapp 40 Prozent des Führungspersonals in diesen Rängen. Es zeigt das Ausmaß der Reformen an, welche die türkische Armee nun braucht.

Akars Rolle in der Putschnacht ist zudem nicht ganz klar. Die Verschwörer versuchten ihn mit Gewalt zur Unterschrift unter die Erklärung zur Machtübernahme durch das Militär zu zwingen. Als sich der Generalstabschef weigerte, nahmen sie ihn als Geisel, ebenso wie die Oberbefehlshaber des Heeres, der Luftstreitkräfte und der Gendarmerie.

Deal in der Nacht

Doch dann sind da die wenigstens vier Stunden, in denen Akar vom unmittelbaren Beginn des Putsches wusste. Den Staatschef kontaktierte auch er nicht. Dem Premier soll er angeblich einen Handel vorgeschlagen haben: Rückzug der Putschsoldaten gegen Rückzug der loyalen, schwerbewaffneten Polizisten.

Unter den elf Generälen und zwei Admirälen im Obersten Militärrat steht nach dem Putsch nur der Kommandant des Ersten Heeres, Ümit Dündar, als Lichtgestalt da. Seine Intervention galt als entscheidend: Dündar erklärte den Putsch schon früh in der Nacht als das Werk einer kleinen Gruppe der Armee. Er entzog damit den Verschwörern die Möglichkeit, breitere Unterstützung in der Armee zu finden. Ein Putschgeneral, Semih Terzi, war zu Beginn der Operationen von einem Unteroffizier erschossen worden. Sein Tod soll die Putschisten ebenfalls demoralisiert haben; der Unteroffizier, Ömer Halisdemir, wurde ebenfalls erschossen.

Putschgeneration 2013

Die Mehrheit der putschenden Generäle war 2013 vom Obersten Militärrat in ihre Positionen befördert worden. In den Mittelpunkt der Kritik rückt deshalb nun der damalige Armeechef Necdet Özel. Er hätte die Beförderungen nicht ausgesprochen, wenn er gewusst hätte, dass es sich um Mitglieder einer Terrororganisation gehandelt hatte, verteidigte sich Özel. Gemeint ist damit das Netzwerk des Predigers Fethullah Gülen, das sich auch über die Armee erstreckt haben soll.

Türkische Kenner der Armee halten das nur für teilweise plausibel. Gülen-Anhänger in der Justiz werden für die Massenprozesse gegen Generäle zwischen 2008 und 2012 verantwortlich gemacht. Die Urteile wurden mittlerweile aufgehoben. Die Inhaftierungen machten seinerzeit aber Platz für die heutigen Putschisten. Die Militärgymnasien sollen nun geschlossen werden, um eine Indoktrinierung junger Soldaten zu verhindern. Haftbefehl gegen. (Markus Bernath, 27.7.2016)