Publizistikprofessor Fritz Hausjell fordert Medienkunde in Schulen.

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Polizeieinsatz am Münchner Stachus, Kilometer von dem eigentlichen Tatort entfernt.

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Als am vergangenen Freitag ein Bewaffneter in einem Münchner Einkaufszentrum um sich schoss, schienen die digitalen Kurznachrichtendienste wie gemacht für rasche Updates. Per Twitter warnte die Polizei Stadtbewohner wie Touristen in mehreren Sprachen, Smartphone-User nutzten den Facebook-Safety-Check als virtuelles Lebenszeichen. Ebenso in Windeseile verbreiteten Meldungen über weitere Schießereien in der Innenstadt aber auch Panik unter Münchner Social-Media-Nutzern. Es vergingen bange Stunden, bis sich die Nachrichten als falsch herausstellten.

Soziale Medien machen uns in Zeiten der Terrorwelle ängstlicher, konstatiert angesichts dessen der Wiener Publizistikprofessor Fritz Hausjell. "Einerseits liegt das an der Vielzahl der Meldungen, andererseits daran, dass sie von vielen Seiten auf uns zukommen, darunter von Freunden, die Nachrichten teilen und die wir für glaubwürdig halten", erklärt er im Gespräch mit dem STANDARD. So entstehe oftmals ein verzerrtes Bild der Realität. Was es braucht, seien Verhaltensregeln für den Umgang mit solchen Meldungen, die am besten schon in der Schule gelehrt werden sollten, nimmt Hausjell das Bildungssystem in die Pflicht. "Wir haben uns dieser Kommunikationstechnik zwar sehr rasant anvertraut, die meisten von uns wissen aber zu wenig über ihre Gesetzmäßigkeiten, etwa, nach welchen Kriterien die Storys gefiltert werden, die in unseren Timelines auftauchen"

Schließlich sei der moderne Mensch heutzutage weit weniger imstande, sich dem Nachrichtenstrom zu verweigern, als dies früher der Fall gewesen ist. Vor allem, weil der Social-Media-Konsum häufig ritualisiert und kaum zielgerichtet vollzogen wird. "Ich habe den Eindruck, dass die Menschen, die sehr viel in den sozialen Medien unterwegs sind, tendenziell die unglücklicheren Menschen sind. Gerade Menschen, die sich ohnmächtig fühlen, fühlen sich durch unreflektierte Nutzung in ihrer Weltsicht bestätigt."

Kein Konkurrenzkampf

Während man sich im klassischen Journalismus etwa in Bezug auf Suizid relativ einig ist, sensibel zu berichten, um Nachahmung zu verhindern, sei das etwa bei Facebook und Twitter nicht der Fall. "Und je boulevardesker die klassischen Medien sind, desto eher lassen sie sich auf einen Konkurrenzkampf mit den sozialen Medien ein. Das halte ich für einen fatalen Fehler", so Hausjell.

Von den Medienbetrieben erhofft sich der Wissenschafter Gelassenheit und Selbstreflexion. "Die Grundformel lautet, den Terroristen und ihren vermeintlichen Motiven relativ wenig Raum in der Berichterstattung zu überlassen. Die neue Herausforderung ist, dass die Ambitionen der Terroristen natürlich auch in Richtung der sozialen Medien gehen und dass sie dort auf so gut wie keinen Widerstand treffen."

Dafür sei eine breite gesellschaftliche Debatte nötig, die von den klassischen Medien geführt werden sollte. So könne die oftmals als "Lügenpresse" gescholtene Zeitungslandschaft viel an Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. "Ich bin nicht der Meinung, dass die Menschen, die den klassischen Medien nicht mehr vertrauen, für diese für immer verloren sind." Unzufriedenheit mit den Medien, so Hausjell, gibt es schließlich nicht erst seit Facebook und Twitter. (flon, 27.7.2016)