Noch bis vor kurzem galt das ehemalige Königreich Mustang als abgelegenes Paradies im Himalaya. Es war nur über Maultierpfade erreichbar und blieb Besuchern bis 1992 verschlossen. Doch seit 2014 führt eine Straße in die geheimnisvolle Region im Norden Nepals und bringt mit den Touristen und modernen Konsumgütern auch langsam das Ende des alten Lebens.

Die Tore bleiben offen

Nach und nach ersetzen Solaranlagen die alten Kerosinlampen in der an Tibet grenzenden Region. Statt handgenähten Lederstiefeln und traditionellen Kleidern tragen viele Einwohner inzwischen Turnschuhe und Jeans. Während früher die Tore der Hauptstadt Lo Manthang wegen der Pferde nachts geschlossen werden mussten, bleiben sie heute offen – nun knattern vor allem Motorräder übers Pflaster.

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Eine moderne Straße bringt mehr Güter nach Mustang – und wahrscheinlich bald auch das Ende des alten Lebens.
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Auf den Dächern der mittelalterlichen, weißgekalkten Häuser machen sich Satellitenschüsseln breit. "Ich weiß noch, wie wir erstmals nepalesisches Fernsehen empfangen konnten, vor knapp zehn Jahren", erinnert sich der 30-jährige Tsewang Norbu Gurung. "Wir bezahlten damals 20 Rupien (18 Cent), um drei Stunden bei jemandem schauen zu dürfen, der einen Fernseher hatte."

Filme aus Bollywood, Dramen aus Nepal

Heute besitzt fast jeder Haushalt ein Fernsehgerät aus China oder Indien, und junge Männer wie Gurung schauen abends Bollywood-Filme, tibetische Dramen oder Fußball. "Früher musste alles – Reis, Öl, die meisten Grundnahrungsmittel – auf Maultieren hochgebracht werden, das dauerte Tage, jetzt bringt der Lastwagen das alles in einem Tag", erzählt er, während er gemeinsam mit Freunden in einer Teebar ein EM-Fußballmatch verfolgt.

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Nur langsam verändert sich das Ortsbild der Dörfer in Mustang – etwa durch Solaranlagen und Satelliten-Schüsseln auf den Dächern.
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Auch Gurung arbeitete am Bau der Straße mit, die Mustang seit zwei Jahren mit Indien und China verbindet. Heute betreibt er eine Souvenirgeschäft. Gurungs Heimat war einst Zentrum des Salz-, Wolle- und Gewürzhandels über den Himalaya. Über Generationen führten Händler Karawanen über das wüstenähnliche Hochplateau.

Nepal annektierte das damalige Königreich Lo im 18. Jahrhundert und integrierte es in seinen Bezirk Mustang. Die Loba durften aber ihre Monarchie und ihre buddhistischen Bräuche behalten – auch als die Kulturrevolution das benachbarte Tibet erschütterte. Mustang war so isoliert, dass die Königsfamilie erst 1995 zu ihrem ersten Auslandsbesuch flog. Als Nepal 2008 die Monarchie abschaffte, verlor auch das Königreich Lo seinen Status.

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Die Volksgruppe der Loba durfte nach der Annexion an Nepal eigene Riten und Bräuche behalten.
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Der heute mehr als 80 Jahre alte Jigme Palbar Bista ist der letzte König einer 600 Jahre alten Dynastie. Sein Sohn Jigme Singi Palbar Bista erinnert sich noch an seine Kindheit in einem fünfstöckigen Palast mit 108 Zimmern ohne Strom, in dem aus Mangel an Brennholz zuweilen mit Yak-Dung geheizt wurde. "Wir sind nicht wie andere Königsfamilien, lebten nicht im Luxus", sagt der 60-Jährige. In die nächste Schule nach Jomsom musste Bista tagelang reiten oder gehen.

Ehemaliger Kronprinz als spiritueller Füher

Inzwischen betreibt er ein Reisebüro und kümmert sich um die Renovierung des Palasts, der beim Erdbeben im vergangenen Jahr beschädigt wurde. Die Loba betrachten den früheren Kronprinzen aber noch immer als spirituellen Führer, manche kommen zu ihm, damit er Landstreitigkeiten löst.

Für die Loba ist Jigme Singi Palbar Bista, der ehemalige Kronprinz von Mustang, noch immer der spirituelle Führer.
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Um die Kultur des geheimnisvollen Landesteils zu bewahren, beschränkt Nepals Regierung die Touristenzahlen und erhebt eine Besuchsgebühr von mindestens 500 Dollar (453 Euro). Trotzdem fürchten viele Einwohner um ihre kulturelle Identität. "Es ist wichtig, unsere Kultur zu bewahren. Ansonsten bleibt nichts Besonderes übrig von Mustang", warnt der Leiter des Monchoe-Dragkar-Thegchen-Ling-Klosters in der Hauptstadt, Khenpo Kunga Tenzin. "Wir hatten unsere Identität, unsere eigene Kleidung, aber jetzt verschwindet das alles."

Souvenirhändler Gurung ist gespalten: "Wenn ich sehe, dass meine Generation die traditionellen Gesänge und Tänze nicht kennt, dann schäme ich mich ein bisschen", räumt er ein. "Aber insgesamt bin ich optimistisch. Das Leben wird einfacher." (saum, APA, 26.7.2016)