Wien – Mathematische Beschreibungen von Wellen sagen zum Teil Effekte vorher, die völlig unserer Intuition widersprechen. Physikern der Technischen Universität Wien ist es nun in einer internationalen Zusammenarbeit gelungen, auf Basis einer solchen abstrakten Vorhersage einen Wellenleiter mit völlig neuen Eigenschaften zu entwickeln, wie die Forscher im Fachjournal "Nature" berichten.

Die Berechnung von Wellen unterschiedlichster Art gehört zum täglichen Handwerk theoretischer Physiker und Mathematiker. Unter sehr speziellen Bedingungen, an sogenannten "Ausnahmepunkten", können solche Berechnungen jedoch zu merkwürdigen Vorhersagen führen.

Was zunächst wie mathematische Spielerei aussieht, entpuppt sich zunehmend von wichtiger physikalischer Bedeutung. So schalten sich etwa Laser ein, obwohl man ihnen Energie entzieht, oder Licht breitet sich nur noch in eine bestimmte Richtung aus.

Speziell geformter Lichtleiter

Diese Effekte widersprechen nicht bloß unserer Intuition, sie sind auch äußerst schwer experimentell umzusetzen. "Um den Zustand einer elektromagnetischen Welle in die Nähe eines Ausnahmepunktes zu bringen, müssen die Randbedingungen, also etwa der Behälter, in dem sich die Welle befindet, gezielt verändert werden", erklärte Projektleiter Stefan Rotter, Professor am Institut für Theoretische Physik der Technischen Universität Wien. Das lässt sich entweder erreichen, indem man die Geometrie des Behälters zeitlich verändert, oder, wie in der aktuellen Studie, indem man die Welle durch einen starren, aber speziell geformten Lichtleiter schickt.

Treten nun zwei unterschiedliche Wellen gemeinsam auf einer Seite eines solchen Wellenleiters ein, verändern sich entlang ihres Weges die Bedingungen für ihre Ausbreitung. Auf diese Art werden sie sozusagen um einen solchen Ausnahmepunkt herumgeführt und verschmelzen somit. Auf der anderen Seite verlassen die beiden Wellen den Wellenleiter als eine Einzige. "Das ist, als ob man mit einem Auto in einen zweispurigen Tunnel einfährt, im Inneren des Tunnels wie auf Glatteis herumschlittert, aber am Ende garantiert immer auf der richtigen Straßenseite ankommt", erklärte der Erstautor der aktuellen Studie, Jörg Doppler.

Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis

Für die experimentelle Umsetzung des theoretischen Modells entschieden sich die Forscher für Mikrowellen in einem hohlen, metallischen Wellenleiter. Die Wiener Forscher berechneten die spezielle Form des Leiters, die Experimente selbst wurden an der Universität Nizza durchgeführt.

"Durch die experimentelle Bestätigung dieser doch recht abstrakten mathematischen Vorhersagen hoffen wir eine Art Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis erreicht zu haben", meinte Rotter. Zum einen könnten theoretische Physiker und Mathematiker ihre Theorien nun auf konkrete Systeme ausrichten, zum anderen hätten anwendungsorientierte Forscher nun die Möglichkeit, diese neuartigen Effekte für ihre jeweiligen Zwecke zu nutzen zu nutzen. (APA, 1. 8. 2016)