Michael Sellemond: "Es gab genügend Vorfälle, wo die Politik längst hätte feststellen müssen, dass man hier ein Problem hat."

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STANDARD: Sie arbeiten seit über zehn Jahren als Compliance-Experte in der Privatwirtschaft, kennen als Kunstsammler auch den Kulturbetrieb gut. Wie beurteilen Sie den Fall im Belvedere?

Sellemond: Die Dinge, die hier am Tisch liegen, sind gravierend. Wenn man die Rahmenbedingungen, die es in der Privatwirtschaft gibt, auf die Ergebnisse der Compliance-Untersuchung im Belvedere-Fall umlegt, dann ist unverständlich, dass es hier keine harten Konsequenzen gibt. In der Privatwirtschaft sind Compliance-Richtlinien heute mindestens so wichtig wie die Zahlen selbst. Das Topmanagement haftet persönlich für die Einhaltung der Compliance. Wenn Sie mich fragen, hat hier auch das Kuratorium als Kontrollorgan seine Aufsichtspflichten verletzt.

STANDARD: Sie haben eine Petition gegen die Vertragsverlängerung Agnes Hussleins unterzeichnet. Ist Kulturminister Drozdas Entscheidung, Husslein bis zum Auslaufen ihres Vertrags im Amt zu lassen, vertretbar?

Sellemond: Ich halte das für absolut unvertretbar, eine klare Fehlentscheidung. Darum habe ich auch die Petition unterschrieben. Offensichtlich hat der Minister keine Ahnung, was Compliance bedeutet. Es gibt immerhin ein Schuldeingeständnis – Frau Husslein zahlt allein für die bekannten Verletzungen Tausende Euro zurück. Das sind doch keine Peanuts! Seinen Dienstort in den Sommermonaten nach Kärnten verlegen und Reisespesen verrechnen? Solche Vergehen sind kein Kavaliersdelikt. Man tut jetzt so, als wäre nichts passiert. Man versucht wohl, unter den Teppich zu kehren.

STANDARD: Es gab auch Dienstfreistellungen und Kündigungen.

Sellemond: Das zeigt auch schon auf, was hier vorgeht. In der Privatwirtschaft gibt es aus gutem Grund Whistleblower-Regelungen, nach denen die Mitarbeiter sogar verpflichtet sind, Verstöße gegen die Compliance zu melden. Dann wird recherchiert, und wenn es stimmt, hat das für den Whistleblower keinerlei Konsequenz.

STANDARD: Fördern scharfe Compliance-Regeln das Denunziantentum?

Sellemond: Wenn die Leute wissen, dass Verleumdungen zu sehr harten Konsequenzen führen, dann werden sie es sich gut überlegen, jemanden zu denunzieren. In der Privatwirtschaft funktioniert das auch gar nicht.

STANDARD: Das Kuratorium und Unterstützer wollen Verstöße und Leistungen der Direktorin abwiegen – Husslein habe dem Museum mehr gebracht, als sie es gekostet habe. Kann man so argumentieren?

Sellemond: Das ist völlig irrelevant. Das kommt auch gerade von jenen Leuten, die selbst einen Interessenskonflikt haben: unterstützende Galeristen, Künstler – Leute, die vom Belvedere profitiert haben. Zu sagen, jemand brauche sich nicht an Compliance zu halten, solange er gute Leistungen für das Haus bringt – das ist doch Mittelalter! Auch die Argumentation, dass Museumsdirektorin ein Job sei, bei dem man privat und beruflich nicht mehr voneinander trennen könne, ist völlig irrelevant. Das könnte man ja über jeden Topmanager genauso sagen.

STANDARD: Manche fordern "Narrenfreiheit" für den Kulturbetrieb, sprechen von "Bagatellbetrag" und "die Kirche im Dorf lassen".

Sellemond: Diese Aussagen und Medienberichte haben mich sehr verwundert. Offenbar herrscht hier große Unkenntnis.

STANDARD: Hinkt der Kulturbetrieb bei Compliance hinterher?

Sellemond: Es gab genügend Vorfälle, wo die Politik längst hätte feststellen müssen, dass man hier ein Problem hat. Lange gab es gar keine Compliance-Regelungen in den Museen. Jetzt hat man welche, sagt aber quasi, dass sie sowieso nicht einzuhalten sind.

STANDARD: Manche Kulturmanager klagen über den "Anfütterungsparagrafen", weil er die Sponsorenakquise hemme. Verständlich?

Sellemond: Nein. Mir tun Kulturbetriebe überhaupt nicht leid, wenn sie diese Rahmenbedingungen, die wichtig sind, um Korruption zu verhindern, mittragen müssen. Denn wie man sieht, braucht es diese Regelungen ja. (Stefan Weiss, 25.7.2016)