Mein Mann und ich waren zur Hochzeit einer Schulfreundin eingeladen, es war weit weg von der Stadt in einem kleinen Dorf. Dort ist es Brauch, am Ende von Hochzeiten das Lied "Wahre Freundschaft soll nicht wanken" anzustimmen. Ich hörte an einem Tisch sitzend zu und stellte fest, als ich mich im Raum umblickte: Da sind so viele Menschen, die ich so lange kenne und die sich in so unterschiedliche Richtungen entwickelt haben. Sind das Freunde, ist das Freundschaft? Oder ist das nur mehr ein vages Bekanntsein, nach viel zu vielen Jahren ohne Kontakt. Vermitteln soziale Medien uns eine Nähe, die wir in der Realität zu den meisten dieser vermeintlichen Freundinnen und Freunde gar nicht mehr spüren können?

Wie viel einfacher fällt es uns, ein "Like" zum Foto einer Kindstaufe zu setzen als in echt die Hand einer Person in der eigenen zu spüren, die gerade von der schwierigen Geburt dieses Kindes erzählt. Und: Was für eine fremde Hand ist das überhaupt, die ich früher jeden Tag beim gemeinsamen Gang in die Volksschule gehalten habe? Diese Hand, die mir so lange so viel Sicherheit gegeben hat, dieser Mensch, dem ich so viele wunderbare Erinnerungen verdanke …

Erinnerungen an ein früheres Ich

Zwei Wochen später folgt die nächste Hochzeit. Auf der Einladung stand eine Textzeile der Toten Hosen: "… an Tagen wie diesen wünscht man sich Unendlichkeit". Soweit ich diesen Liedtext richtig in Erinnerung habe, geht es um einen Konzertbesuch. Ist das Freundschaft? Reichen die Erinnerungen an Festivals in Wiesen, Dosenbier, schlechtes Essen und Sex mit dem ersten Freund im Zelt? An den verstörend peinlichen Marilyn Manson, an Sommerabende in der wunderbaren Burg Clam, die vielgeliebten Garbage oder an ein irgendwie komisches Metallica-Konzert am Salzburgring?

Ist Freundschaft das, was uns über viele Jahre hinweg verbindet wie ein gemeinsamer Schulbesuch, das Aufwachsen im selben Ort oder die gemeinsam durchgestandenen langweiligen Proseminare an der Universität? Kann man echte Freundschaft wirklich bewahren, wenn man über das Leben des jeweils anderen nur noch über gemeinsame Bekannte oder Facebook auf dem Laufenden gehalten wird?

Als Paar Paare kennenlernen

Dann wird man vielleicht noch älter, und man wird Vater oder Mutter. Was zählt dann? Das gleiche Alter des Nachwuchses, das zufällige Aufeinandertreffen in Spielgruppen, Kinderkrippen, Volksschulen oder Schwimmkursen? Weil genau diese Familie auch immer dienstags auf dem Kinderspielplatz ist? Weil sich deren Sohn vielleicht auch für Judo interessiert oder deren Tochter auch so gerne wie die eigene das Freifach Zirkus im Gymnasium besucht? Was bedeutet uns Freundschaft dann? Gründen wir mit Mitte 40 mit unseren neuen Freunden wieder Bands, mieten Proberäume oder treffen uns jeden Donnerstag zum Jour fixe in einer Bar, die viel zu weit weg von zu Hause und eigentlich viel zu schick und jung für uns geworden ist?

Sind dann plötzlich Arbeitskolleginnen unser Freundeskreis oder Menschen, die unsere höchstpersönlichen Hobbys wie Trainieren für den Triathlon oder Elektroflugzeugbauen teilen? Dürfen wir als Mütter überhaupt noch neue männliche Freunde finden oder als Papas neue weibliche? Ist das dann nicht komisch oder so? Oder lernen wir als Eltern nur noch andere Paare kennen, wo dann irgendwie seltsam automatisch immer die Mamas und die Papas miteinander über irgendwas reden?

All das und noch viel mehr

Freundschaft ist wahrscheinlich all das und noch viel mehr. Für mich bedeutet sie stilles Einverständnis, einen schnellen Blick, wenn jemand anderes sich zu sehr in Szene setzt, sie bedeutet, den Abwasch zu übernehmen, den Grill auszuborgen, einander zu umarmen, wenn die Oma stirbt, und in den ganz, ganz beschissenen Situationen des Lebens die Hand eines echten Freundes in der eigenen zu spüren. Freundschaft heißt, nicht wegzuschauen, wenn die andere im Krankenhaus liegt. Sie bedeutet, auch die unangenehmen, schmerzhaften Seiten des Lebens miteinander zu tragen. Und natürlich auch die ganz wunderbaren Momente wie den Sonnenuntergang am Attersee oder ein frühmorgendliches Kinderlachen im gemeinsamen Urlaub beim Vorbereiten des Frühstücks.

Und dennoch: Freundschaft werfen wir oft weg. Weil wir meinen, klüger, reifer, erwachsener oder Eltern geworden zu sein. Und weil wir dabei übersehen, dass uns mit wahren Freunden immer etwas ganz Besonderes verbindet. Wie vielleicht ganz genau dieses eine Metallica-Konzert am Salzburgring und die besondere gemeinsame Erinnerung an diesen Moment. (Sanna Weisz, 24.7.2016)