Mariella Ahrens und Nicolas König in "Im Licht des Feuers"

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Markus Knüfken und Johanna Christine Gehlen in "Lilly Schönauer: Für immer und einen Tag".

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Muriel Baumeister und Bernhard Schir in "Lilly Schönauer: Und dann war es Liebe".

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Gaby Dohm und Friedrich von Thun in "Eine besondere Liebe".

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Utta Danella hilft mit.

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Uschi Glas und William Thomas in "Schlangen im Paradies".

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Simon Verhoeven und Alexandra Neldel in "Wenn nur noch die Liebe zählt".

Foto: ORF / ZDF

Wenn ich heimkomme und nichts mehr sehen und hören will. – In schwachen Momenten. – Wegen der schönen Landschaft. Wer nach Rosamunde Pilcher fragt, erhält Geständnisse. Alle bringen gute Gründe vor, warum sie abends gerne den Balztänzen von Gloria, William, Penelope, Thomas, Joanna und Oscar beiwohnen möchten. Entweder das, oder es wird schlichtweg bestritten, regelmäßiges Ringen von Alicia, Will, Jessica, Steve, Marie und Daniel verfolgt zu haben. Rosamunde Pilcher? Nie im Leben! Lilly Schönauer? Unter meinem Niveau. Katie Fforde: Schau' ich so aus? Utta Danella? Ist die nicht schon tot?

Zumindest Letzteres stimmt, doch davon später. Denn es ist schon ein kleines bisschen seltsam, wenn angeblich so gar niemand – oder nur in Ausnahmesituationen – die Fernsehromanzen schauen mag.

Gegen den Tod des Schemafernsehens

Denn seit inzwischen mehr als 23 Jahren können sich ORF, ARD und ZDF auf Millionen Zuseher verlassen, die sich ganz nebenbei und mit vereinten Kräften gegen den angekündigten Tod des Schemafernsehens stemmen. 23 Jahre – das ist im Medienzeitalter eine ganze Ewigkeit.

1993 gilt als Geburtsstunde des World Wide Web. Wer wann welche Sendung konsumiert, bestimmen inzwischen mehr und mehr Zuschauer, und nicht die Sender. Ungeachtet dessen wird im Fernsehen wie am ersten Tag glupschäugig geliebt, geseufzt, geschmachtet. Da mag die Medienwelt noch so rumpeln und beben, die Ikonen der Romanzen stehen fest auf dem felsigen Untergrund des Gebührenfernsehens, und keine noch so steife Brise des Wandels kann sie ins Wanken bringen. Ein Phänomen.

"Big Five" der TV-Romanzen

"Landschaft, schöne Liebesgeschichte, Konflikt, Kostüme", zählt Andrea Klingenschmitt unverzichtbare Bestandteile auf, die eine Romanze beim ZDF haben muss. Die Redakteurin sorgt in Mainz seit 1993 dafür, dass die – hüstel – Qualität hält. Wer sich danach richtet, kann mit Wellen der Publikumszustimmung rechnen. Für den anhaltenden Erfolg bürgen die "Big Five" der TV-Romanzen:

Rosamunde Pilcher feiert im September ihren 92. Geburtstag. Ihr Vermögen wird auf 200 Millionen Euro geschätzt. 1987 schrieb sie ihren ersten Roman "Die Muschelsucher" und machte dadurch die englische Küste zum Sehnsuchtsort, an dem es nur dann regnet, wenn sich die Herzen gerade wieder einmal verloren haben. Ihre Bücher schrieb die in Cornwall geborene Mutter von vier Kindern am Küchentisch. 2012 gab sie bekannt, mit dem Schreiben aufzuhören. Seit 1993 verfilmt das ZDF Pilcher-Stoffe. Noch ist Material vorhanden: 30 Kurzgeschichten warten auf ihre Umsetzung.

"Sommer am Meer"

Der ORF produzierte 17 Jahre mit, die höchste Reichweite zählte der Gebührenfunk am 18. Oktober 1995: Die Ausgabe "Sommer am Meer" sahen durchschnittlich 1,3 Millionen Menschen, was einem Marktanteil von 51 Prozent entspricht. Österreichs Öffentlich-Rechtlicher sprang aber 2012 ab, weil der Sonntagstermin mit dem "Tatort" auf ORF 2 zu gut läuft. Inzwischen wird über eine ORF-Rückkehr aber bereits wieder verhandelt. In Großbritannien ist Pilcher übrigens weitgehend unbekannt.

Ein Teil der Pilcher-Drehbücher stammt von Christiane Sadlo. Aus ihr wurde 2004 Inga Lindström: Unter der Marke versammelt das ZDF seit 2004 Geschichten von Liebe, Land und Leidenschaft im malerischen Schweden. Die 62-Jährige arbeitete als Journalistin unter anderem für "Süddeutsche Zeitung" und "Cosmopolitan", mit Fernsehdrehbüchern belieferte sie auch "Bergdoktor", "In aller Freundschaft" und "Familie Dr. Kleist".

"Das Meer in dir"

26 Filme nach Katie Fforde verfilmte das ZDF seit 2010. Die Liebesabenteuer der 63-jährigen Britin spielen in New York. Sie zeichnet sich durch besonders prosaische Titel aus: "An deiner Seite", "Das Meer in dir", "Warum hab ich ja gesagt?" oder zuletzt, kurz und bündig: "Du und ich".

Lilly Schönauer war die österreichisch-bayerische Pilcher, wie Inga Lindström ein Pseudonym. Das Autorenkollektiv brachte es zwischen 2006 und 2013 auf 14 Filme. Das Ende kam, weil der ORF den Sparstrumpf ansetzte und sich als Koproduzent von der ARD verabschiedete.

"Lisa schwimmt sich frei"

Die deutsche Schmonzettenautorin Utta Danella, geboren 1920 als Utta Denneler in Leipzig, starb 2015 im hohen Alter von 95 Jahren in München. Ihr Oeuvre umfasst mehr als 30 Bücher, die sie mehr als 70 Millionen Mal verkaufte. Die Werke tragen Titel wie "Plötzlich ist es Liebe", "Eine Liebe in Venedig", "Eine Liebe im September", dutzende verfilmte die ARD-Produktionstochter Degeto seit 2000, zuletzt liefen "Lügen haben schöne Beine" und "Lisa schwimmt sich frei".

Das Fernsehen leistet dabei die Arbeit einer Bedürfnisbefriedigungsanstalt im großen Stil: Allein sechs Pilcher-Filme werden pro Jahr in Cornwall gedreht, je sechs entstehen für die Inga-Lindström- und für die Katie-Fforde-Reihe. Die Drehorte selbst sind Magnete für Touristenströme geworden, 25.000 zieht es laut "Guardian" nach Cornwall. Etliche Reiseveranstalter haben Touren im Programm, die an Originalschauplätze führen.

"In Prideaux Place gibt es sogar deutschsprachige Führer", sagt Andrea Hetzel vom britischen Fremdenverkehrsamt Visit Britain. Im Sommer sei rund um Newquay "richtig viel los", erzählt sie. Seit Jahren pilgern Fans dorthin und lassen nicht nur ihr Herzblut liegen: Eine siebentägige Tour kostet etwa bei Blaguss rund 2000 Euro.

Frauen haben Berufe: Gott sei Dank!

"Die Geschichten haben sich verändert", sagt ZDF-Redakteurin Klingenschmitt. "Die Frauen haben Berufe, Gott sei Dank!", hält sie dem gängigen Vorurteil entgegen, wonach sich der weibliche Part auf sehnsüchtiges Warten reduziere, bis endlich der Märchenprinz herangeritten kommt und die Braut heim ins Schloss bringt.

Aber egal, ob Landflucht, Kinderwunsch oder ein Mann, der sich zwischen drei Frauen entscheiden muss: Die glückende Zweierbeziehung als allein seligmachender Lebensentwurf bleibt im Raum wie der Geruch einer an Inkontinenz leidenden Teegesellschaft.

Touristenströme in Cornwall

Nein, man arbeite nicht mit Textbausteinen, sagt Klingenschmitt im Gespräch mit dem STANDARD. Ein guter Stab an Autoren ist engagiert, zu den wichtigsten gehörten Barbara Engelke, Christiane Sadlo und bis vor kurzem Martin Wilke. Ungefähr 35 bis 40 Menschen arbeiten bei Pilcher-Filmen fast das ganze Jahr über, damit der Nachschub nicht ausbleibt. "Bisher gab es noch keine Doppelungen", sagt sie.

Von Mitte April bis November tummeln sich die Filmleute in Cornwall. Für neunzig Filmminuten brauchen sie sechs Wochen mit Vorbereitung. Der Brexit mache das komplizierter, sagt Klingenschmitt. Über all die Jahre wurden Beziehungen geknüpft: "Wir haben mittlerweile 26 Babys", sagt die ZDF-Redakteurin.

Alle spielten mit

Es gehe um Fragen der Doppelstaatsbürgerschaft, Dienstverhältnisse, Visa. Mitgespielt hat alles, was im deutschen Mainstream-TV Rang und Namen hat: Uschi Glas, Senta Berger, Gaby Dohm, Natalia Wörner, Alexandra Neldel, Muriel Baumeister – alle haben es getan, wohl der Gage – um die 5000 Euro pro Drehtag – und der Landschaft wegen.

Am internationalen Lizenzmarkt spielen die Romanzen eine ebenso gewichtige Rolle: "Die Polen reißen uns Rosamunde Pilcher aus den Händen", sagt Klingenschmitt. Vorwiegend Frauen schauen zu, von acht Millionen Zuschauern in Deutschland sei regelmäßig eine Million der werberelevanten 14- bis 49-jährigen Frauen dabei.

Was Pokémon Go, Schrebergarteln und Pilcherei gemeinsam haben

Und so kommt es zur merkwürdigen Tatsache, dass in diesen Tagen Pokémon Go, Schrebergartenbewegung und Pilcherei glücklich koexistieren, weil sie im Grunde ihres Herzens den gleichen Zweck erfüllen – sie erlauben Ausflüge in die Anderswelt, die den Alltag nur insofern abbildet, als sie Träume visualisiert: jagen, pflanzen, sich verlieben – Ideen, die zumindest für gewisse Zeit klare Ausrichtung versprechen.

Mit Eskapismus allein lässt sich das nicht erklären. Denn die Flucht ins romantische Nebenuniversum beinhaltet ja im ranzigen Romanzenreich die Vorstellung einer blitzsauberen, auf den Austausch von Speichelflüssigkeiten beschränkten Heterowelt, in der Menschen mit blanker Biederkeit und weltfremder Prüderie um Zuneigung ringen, dass manch einem das nackte Grausen kommt – Entspannungswunsch am Abend hin oder her. Trost: Wenigstens Pokémon Go und Schrebergarteln gehen früher oder später wieder vorbei. (Doris Priesching, 23.7.2016)