Gewitterwolken verdunkeln den Himmel über Belas. Wie passend, denn der beschauliche Vorort Lissabons ist binnen eines Jahres zu einer Pilgerstätte für Freunde gruseliger Erfahrungen geworden. Nahe der alten Kirche und dem noch älteren Friedhof steht das Herrenhaus Quinta Nova da Assunção aus dem 19. Jahrhundert. Die rosa Farbe der Fassade trügt, denn im Inneren und auf dem umliegenden Anwesen soll sich Grauenhaftes zugetragen haben.

Die Lokalpresse widmete angeblichen paranormalen Ereignissen, die hier früheren Bewohnern, Besuchern und Handwerkern widerfahren sein sollen, schon viele Seiten. Was davon wahr ist und was erfunden, lässt Michel Simeão, der Initiator des "Projekts Geisterhaus", gerne offen.

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Quinta Nova da Assunção, ein Herrenhaus aus dem 19. Jahrhundert in der Nähe von Lissabon, hat optisch die besten Voraussetzungen für allerlei Spuk.
Foto: Reuters / Rafael Marchante

Simeão leitet das mehrfach ausgezeichnete Theaterkollektiv Teatro Reflexo. Auf die Idee, in Portugal Theaterstücke zum Gruseln zu produzieren, kam er in Irland, wo er 2011 geführte Touren zu schaurigen Orten unternahm. In Belas gehen er und sein dreizehnköpfiges Team aus Schauspielern, Laien und Technikern aber noch um einiges weiter.

Warteschlange vor dem Spukhaus

Das Geisterhaus eröffnete Simeão im Juni 2015. Mehr als 4000 Besucher empfing man seither, ungefähr nochmal so viele stehen auf der Warteliste, um Einlass in das alte Herrenhaus zu erhalten. "Ich hoffe, Sie können ein wenig Portugiesisch verstehen", sagt er am Eingang, "sonst gehen Sie im Spukhaus noch verloren." Die mit Audio-Guides kommentierte Tour gibt es bislang nur auf Portugiesisch. Da man in Kleingruppen von drei Personen durch die Räume wandelt, stellt zumindest die Orientierung kein großes Problem dar. Und die Rätsel, die es unterwegs zu lösen gilt, basieren meist auf Zahlen.

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Mitglieder des Theaterkollektivs Teatro Reflexo kümmern sich persönlich darum, Besuchern des Herrenhauses einen Schrecken einzujagen.
Foto: Reuters / Rafael Marchante

Einmal drinnen, gibt es kein Entrinnen mehr. Tür für Tür, die Gänge entlang und die Treppen hinauf tastet man sich wie in Computerspielklassikern durch die Räume. Die Sinne werden im Dunkeln geschärft, ein modriger Geruch wie auf dem Flohmarkt umnebelt einen. Was die Sehkraft im Kerzenschimmer nicht zu eruieren vermag, übernimmt das Gehör, die Nase oder eben die Haut.

Wilde Tiere um die Ecke

Was als Show mit wohligem Gänsehautfaktor begonnen hat, wird bei manchen bald zur ausgewachsenen Panik. "Angstschweiß lockt wilde Tiere", wird einem dann noch ins Ohr geflüstert. Hundebellen ertönt aus dem stockdunklen Gang um die Ecke, Knurren hinter einer Tür, von der man sich eine Möglichkeit zur Flucht erhofft hat. Die Klinke wird quietschend heruntergedrückt.

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Schritte nähern sich in einem engen Gang – schlurfend, hinkend kommt der Laiendarsteller mit dem Nachthemd näher.
Foto: Reuters / Rafael Marchante

Geschirr fällt zu Boden. Schritte nähern sich, schlurfend, hinkend. Und auf einmal das Kommando: "Verlass den Raum, so rasch Du kannst!" Ohne zu viel zu verraten: Es gibt natürlich keinen Fluchtweg, kein Versteck. Sollte jemandem der Spuk zu weit gehen, müsse er nur "Miguel" rufen, wird einem geraten. Laut Simeão hätten schon viele den Namen gerufen. Aber umsonst. Zu Hilfe eilt einem niemand. Die Parole soll nur glauben machen, man käme hier jederzeit raus. Die eine oder andere Panikattacke und ein paar Ohnmachtsanfälle waren im letzten Jahr zu verbuchen – die beste Werbung, die sich die Truppe wünschen kann.

Wie bei Stephen King

In Belas fühlt sich Simeão mit seinem Projekt dennoch nicht willkommen. "Die Dorfbevölkerung ist sehr verschlossen", sagt er, "ein bisschen wie in den Romanen von Stephen King." Nachbarn munkeln immer wieder von schwarzen Messen, satanistischen Treffen und Geheimbünden, die Tier- und Menschenopfer brächten. Selbst ein Exorzismusritual wollen sie dort schon beobachtet haben – kein Wunder, Simeão hat es selbst inszeniert.

Bürger gegen das Gruseln

Eine Bürgerplattform mobilisierte bereits gegen das Gruselkabinett, vor allem die ältere Generation protestierte. Auch der Bürgermeister sah sich veranlasst, dem Spukhausprojekt die Genehmigung zu entziehen. Es schade dem Image eines Ortes, der eigentlich für Süßigkeiten bekannt ist, meinte er. Die Fofos, kleine Backwaren aus Biskuit und Creme, werden ausgerechnet vis-à-vis dem Herrenhaus in einer Traditionsbäckerei hergestellt – seit 1850.

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Die Bürger Belas machten bereits gegen das Theaterprojekt mobil. Der portugiesische Ort solle ihrer Ansicht nach besser für seine Süßigkeiten bekannt bleiben.
Foto: Reuters / Rafael Marchante

Auf das Verbot folgte eine Welle von Solidaritätsbekundungen für Simeãos Theatertruppe, vor allem über soziale Netzwerke. Nun darf in der rosa Villa bis auf weiteres das Grauen regieren.

Simeãos nächstes Projekt ist schon in Planung: ein interaktiver Krimi, bei dem es ganz in der Manier von Agatha Christie darum geht, beim gepflegten Dinner nebenbei einen Mörder zur entlarven. "In der Miteinbeziehung des Publikums liegt die Zukunft des Theaters ", ist er überzeugt. (Jan Marot, 26.7.2016)