Naturnahes Wandeln beruhigt jung wie alt. Blöd nur, wenn nicht alle Menschen Zugang zu grüner Wohnumgebung haben.

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Grün beruhigt – allerdings nur die, die Zugang dazu haben. So könnten die Begrünung von Städten und der Ausbau von Parks im urbanen Raum sogar dazu beitragen, dass die soziale Spaltung in der Gesellschaft langfristig zunimmt; dass der Abstand zwischen reicheren und ärmeren Menschen in der Stadt größer wird. Darauf weist eine aktuelle Studie spanischer Forscherinnen und Forscher um die Geografin und Soziologin Isabelle Anguelovski von der Autonomen Universität Barcelona hin.

Gentrification in Grün

Unter dem Schlagwort Green Gentrification beschreiben Anguelovski und ihre Kollegen, wie die Aufwertung von Stadtteilen durch Begrünung dazu führt, dass die ansässige Bevölkerung vertrieben wird und sich neue Bewohner ansiedeln. Der Grund: Weil sich immer mehr Menschen eine grüne Wohnumgebung in der Stadt wünschen, steigen Mieten und Immobilienpreise in diesen Stadtgebieten. Logische Folge: Die ärmeren Anwohner weichen den geldigeren Zuzüglern. Sie sind gezwungen, in günstigere, meist weniger grüne Stadtteile mit niedrigerem Durchschnittseinkommen und geringerer Lebensqualität zu ziehen.

In Wien etwa kann man seit Jahren beobachten, wie Wohlhabendere in die grünnahen städtischen Randgebiete drängen. Dass die Sehnsucht nach Natur hierzulande wächst, zeigte erst diese Woche eine Umfrage eines Immobilienvermittlers. Dieser zufolge wollen 53 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher im Grünen leben. Im Vorjahr waren es noch 45 Prozent. Der meistgenannte Grund: Sehnsucht nach Ruhe und Erholung.

Weichet, Arme!

Anguelovski hat die Effekte der Green Gentrification sehr anschaulich am Beispiel Barcelona gezeigt. Dort änderte sich das sozioökonomische Profil der Bewohner bestimmter Stadtteile merklich, nachdem die Zonen durch Begrünung aufgewertet wurden. Im Poblenou-Viertel war das besonders extrem: Das ehemalige Industriegebiet wurde in den letzten Jahren nach und nach revitalisiert und verschönert, in die früheren Fabriken und Lagerhäuser zogen Kunstgalerien, es entstanden Lofts und Luxuswohnungen. Auch der Park im Viertel wurde aufgewertet. Die Mieten stiegen, die alteingesessenen Anwohner zogen weg. Es waren vor allem Arbeiter.

689 Prozent mehr Akademiker

Innerhalb von acht Jahren stieg der Anteil der Akademiker unter den Anwohnern im Umkreis von 100 Metern zum Poblenou-Park um beeindruckende 689 Prozent. Gleichzeit konnte Anguelovski zeigen, dass sich in anderen Teilen der Stadt, die nicht begrünt wurden, in der gleichen Zeit mehr sozial schwache Familien und ärmere Personen ansiedelten.

Kommt Natur, kommt Ungleichheit?

Von der Begrünung der Städte würden also nicht alle Menschen profitieren, ist Anguelovski sicher. Stadtaufwertung durch Natur könne die soziale Kluft sogar vertiefen: dann nämlich, wenn gleichzeitig auf Maßnahmen verzichtet wird, die die soziale Durchmischung fördern: "Dann werden grünere Städte ungerechter und fördern die Ungleichheit."

Natürlich ist Anguelovski nicht gegen Natur in der Stadt – im Gegenteil. Es brauche mehr Natur in der Stadt, sagt sie; mehr frei zugänglichen Grünraum, mehr gut erreichbare Erholungsgebiete. Unzählige Studien haben in den letzten Jahrzehnten belegt, wie wichtig Natur in der Stadt für die Menschen ist, für Wohlbefinden und Gesundheit, für die Qualität der Luft, als Ort des geselligen Miteinader. "Wir müssen die städtischen Wohngebiete begrünen und die Umweltqualität steigern", sagt Anguelovski. Aber eben so, dass alle etwas davon haben.

Eine Frage des Zugangs

Wer den Stadtraum durch Begrünung aufwertet, müsse dafür sorgen, dass der Grundstücksspekulation ein Riegel vorgeschoben wird, dass die Mieten leistbar bleiben, dass die Bevölkerung auch in den grünen Stadtteilen sozial durchmischt ist. Das könne über sozialen Wohnbau gelingen. Und der Zugang zu Grünflächen und Parks dürfe nicht privatisiert werden; er muss öffentlich zugänglich sein.

Wie wichtig die Nähe zur Natur für alle Menschen im städtischen Raum wäre, zeigte übrigens erst jüngst eine Langzeitstudie der Universität von Südkalifornien. Die Forscherinnen und Forscher berichteten, dass Jugendliche, die in der Nähe von Grünraum aufwachsen, signifikant weniger aggressiv sind. Und zwar unabhängig davon, ob ihre Eltern reich oder arm sind. (Lisa Mayr, 22.7.2016)