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Patrouillierende Soldaten gehören längst zum Alltag.

Foto: REUTERS/Robert Pratta

Die Abstimmung in der Nationalversammlung fand in der Nacht auf Mittwoch erst um fünf Uhr Früh statt, doch die Ränge waren noch dicht besetzt. 489 Abgeordnete stimmten für die Verlängerung des Ausnahmezustandes um ein halbes Jahr bis Jänner 2017; nur 26 votierten dagegen. So klar das Resultat ausfiel, so umkämpft war die siebenstündige Debatte.

Nach dem Attentat von Nizza und in Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen von 2017 ist die politische Stimmung in Frankreich geladen. Premierminister Manuel Valls wurde am Montag in Nizza von der Trauergemeinde gnadenlos ausgebuht. Die konservativen Republikaner stehen ihrerseits unter Druck von rechts, wo der Front National Maximalforderungen erhebt: Seine Präsidentin Marine Le Pen verlangt die Schließung radikaler Moscheen und die Internierung von Salafisten auf bloßen Terrorverdacht hin. Republikanerchef Nicolas Sarkozy will den Polizeipräfekten ebenfalls die Möglichkeit einräumen, alle salafistische Moscheen "sofort zu schließen". Im Fernsehen erklärte er, Frankreich stehe im "totalen Krieg".

Sechs Monate Ausnahmezustand

Valls reagierte im Parlament mit der Bemerkung: "Die Populisten gehen um." Zugleich zeigte er sich bereit, den Ende 2015 eingeführten Ausnahmezustand nicht nur um drei Monate zu verlängern, wie es Präsident François Hollande vorgeschlagen hatte, sondern gleich um ein halbes Jahr, wie es die Rechte verlangte. Die Nationalversammlung beschloss, Hausdurchsuchungen ohne Justizbefehl wieder zuzulassen, so wie es von November bis Mai erlaubt war. Im verlängerten Ausnahmerecht erhält die Polizei erneut die Befugnis, Computer und Telefone von Bürgern ohne richterliche Anweisung zu beschlagnahmen.

Die französische Bevölkerung ist laut Umfragen zu 85 Prozent für die Verlängerung des Ausnahmerechts. Der Sicherheitsexperte Alain Bauer sagte dem STANDARD, der Ausnahmezustand sei in einer ersten Phase sicherlich "sehr nützlich gewesen". Er habe mindestens ein Attentat verhindert: Mit der Verhaftung von Reda Kriket im Pariser Vorort Argenteuil im März dieses Jahres seien weit fortgeschrittene Anschlagspläne vereitelt worden. Heute erweise sich das verfassungsrechtliche Notdispositiv aber als "schleppend", meint der bekannteste Sicherheitsberater Frankreichs, der schon Ministern wie Sarkozy und Valls gedient hat und auch die Polizei von New York und Los Angeles berät. Polizeiliche Übergriffe wegen des Ausnahmezustands seien bisher selten. Für allzu statisch hält der Kriminologe die Militärpatrouillen an neuralgischen Orten wie Bahnhöfen. Am Anfang hätten diese der verstörten Bevölkerung Halt gegeben. "Doch der Terrorismus entwickelt sich laufend weiter", sagt Bauer. "Das ganze Landesgebiet abzudecken erlaubt es nicht, ausreichend agil zu bleiben. Polizei- und Militärkräfte müssten viel mobiler sein." (Stefan Brändle aus Paris, 21.7.2016)