Ärztekammer-Vizepräsident Johannes Steinhart fordert Änderungen im Krankenkassensystem.

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Ulrike Rabmer-Koller, Chefin der Sozialversicherungen, wirft der Ärztekammer unseriösen Umgang mit Fakten vor.

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Wien – Ärztekammer-Vizepräsident Johannes Steinhart warnt vor Einbrüchen in der medizinischen Versorgung. Die jungen Ärztekollegen würden sich immer häufiger gegen einen Kassenvertrag entscheiden. Das gefährde den Beruf des Hausarztes – seit 2006 sei die Zahl der praktischen Ärzte um 300 gesunken, sagt Steinhart.

Steinhart wachelt mit den mitgebrachten Formularen und fordert einen Bürokratieabbau. Befundberichte und Gesundenuntersuchungen erschweren die Arbeit der Kassenärzte, die ohnehin schon überfordert seien. Er wirft der Sozialversicherung Ignoranz vor. "Die Versicherung reagiert nicht darauf, sondern spielt nur den schwarzen Peter zu", sagt Steinhart.

Schluss mit dem "Zettelblödsinn"

Die Ärztekammer fordert 1.400 zusätzliche Stellen für Kassenärzte. Damit diese auch besetzt werden, sei eine Entlastung von der Bürokratie wichtig. Steinharts Forderungskatalog: Beseitigung der Deckelungen, Leistungskürzungen streichen, Schluss mit dem "Zettelblödsinn" und ein Ende des "Mystery-Shoppings".

Mit dem Mystery-Shopping, bei dem als Patienten getarnte Mitarbeiter der Sozialversicherung Ärzte auf ihre Korrektheit überprüfen sollen, sei das Fass übergelaufen, sagt Steinhart. Die Kollegen würden dabei zu Fehlleistungen provoziert, nach der ersten Verwarnung drohe die Sozialversicherung sofort mit einer Vertragskündigung. Ohne Ankündigung seien die Ärzte Freiwild für die Mystery-Shopper – und die eigenen Qualitätskontrollen der Ärzteschaft reichten ohnehin aus.

In den nächsten zehn Jahren gehen 61 Prozent der Hausärzte in Pension, rechnet Steinhart vor. Die Zahl der Wahlärzte ohne Kassenvertrag steige dagegen beständig. Ihn freue es zwar, dass sich in Österreich viele Patienten einen Wahlarzt, der privat zu bezahlen ist, leisten können, er warnt aber vor einem Einbruch der breiten medizinischen Versorgung. Bei der Sozialversicherung müsse eigentlich Alarmstufe rot herrschen.

Azubis in der Warteschleife

Ulrike Rabmer-Koller, Vorsitzende des Hauptverbands der Sozialversicherung, wirft der Ärztekammer falsche Zahlen vor. In ihrer Statistik steige die Zahl der Vertragsärzte seit dem Jahr 2000 kontinuierlich an. Viele junge Ärzte seien in einer Warteschleife, sagt die Sozialversicherung. Von aktuell 2.000 Ausbildungsstellen seien erst 100 von der Ärztekammer bewilligt worden.

Die ÖÄK blockiere die Ausbildung nicht, reagiert Steinhart auf die Kritik. Schuld sei die Sozialversicherung. Die Ärztevertretung müsse sich bemühen, um an die richtigen Unterlagen für eine Ausbildungsgenehmigung zu kommen. Das Verfahren sei zu bürokratisch.

Für Änderungen bereit

An Rabmer-Kollers Urteil ändert dieser Einwand nichts. Die Ärztekammer rede die gesamte Gesundheitsversorgung öffentlich schlecht, kritisiert sie. Sie sei aber bereit, das System der niedergelassenen Ärzte so zu entwickeln, dass es zukunftsfähig bleibe. (Gerhard Eichholzer, 20.7.2016)