Ehemaliger ORF-Programmdirektor Wolfgang Lorenz.

Foto: Matthias Cremer

Wien – Der frühere ORF-Programmdirektor Wolfgang Lorenz fordert im Interview mit der "Kleinen Zeitung" eine Neuaufstellung des ORF, einen Wechsel an der ORF-Spitze und mehr Mut in den Informationssendungen. "Das Haus muss sich strukturell und gezielt auf das Programm und seine Herstellung konzentrieren. Das Einzige, was den ORF zur Existenz berechtigt, ist das Programm", so Lorenz.

ORF als "Gleitmedium"

Der ORF war laut Lorenz einmal ein Leitmedium. "Heute ist er ein Gleitmedium, weich geworden unter dem Druck der Politik." Konfliktvermeidung sei bei den Verantwortlichen zur obersten Maxime geworden. "Vor dem ORF muss sich heute keiner mehr fürchten", so der ehemalige ORF-Programmmacher in der "Kleinen Zeitung". "Die Sparte Information – die einmal ein Kilimandscharo des ORF war – im Vergleich zu dem, was ZDF, ARD, Arte bieten, macht heute Puppentheater: Vorhang auf für Kasperl und Hexe."

Zu wenig Diskussionen

Zugleich werde der Diskurs vernachlässigt. Lorenz: "Es gibt im ORF zwei Diskussionssendungen: 'Im Zentrum' und 'Stöckl'. Schauen Sie sich an, was ARD und ZDF im Vergleich dazu anbieten. Ich denke: Der Gesellschaft dienen zu wollen, indem man alles zulässt und bei allem mitspielt, ist scheindemokratisch. Meinungsvielfalt heißt auch Meinung produzieren – nicht nur, sie affirmativ zu reportieren und die Politik so abzubilden, wie sie jetzt ist."

Ursache in Führungsetage

Die Ursachen dafür sieht der langjährige ORF-Manager in der Führungsetage. "Wenn sich der Chefredakteur die Belange der Information mit dem Generaldirektor ausmacht, weil die Fernsehdirektorin dafür nicht aufgestellt ist, dann muss das in Zukunft geändert werden." Die von den ORF-Journalisten postulierte hohe Unabhängigkeit der Information hält Lorenz in der "Kleinen" für eine Folge von Nachlässigkeit: "Die scheinbare Unabhängigkeit der Journalisten ist eigentlich nur aus purer Schlamperei entstanden, weil sich niemand um die Information kümmert. Das ist kein Qualitätsmerkmal. Es ist keine Freiheit, sich aus Unlust nicht anzukleckern. Freiheit entsteht im Kampf, nicht im Liegestuhl. Wird ein Medium nicht strikt geführt, verschlampt es. Das ist am ORF genau ablesbar."

Ausgehungertes Programm

Probleme ortet Lorenz auch im Hauptabendprogramm. Dort "ist man offensichtlich nicht willens oder nicht in der Lage, öffentlich-rechtliches Programm zu machen". Das Programm werde generell "einfach ausgehungert", die Verwaltungsbereiche seien "zu groß", die Technik "ein Klotz am Bein". Geld werde dafür in ein Frühstücksfernsehen gesteckt. "Das ist scheißteuer, und dafür schrumst jetzt ein Marketenderfernsehen durch die Gegend." Die Politik sieht Lorenz via ORF-Stiftungsrat "so tief im ORF drin wie seit Jahrzehnten nicht". Der Einfluss der Landeshauptleute und Betriebsräte sei dort viel zu groß, das Programm interessiere die Stiftungsräte nicht. "Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist denen völlig wurscht. Sie bilden ihre Parteimeinung und ihre Parteiaufträge ab."

"Nach zehn Jahren Wrabetz..."

Wegen all dieser Dinge sei er für einen Führungswechsel im ORF. Lorenz: "Nach zehn Jahren Alexander Wrabetz bedarf es einer Neuaufstellung. Die traue ich dem Richard Grasl zu. Und zwar dann, wenn er umsetzt, was er angekündigt hat: vier Direktoren als Programmdirektoren für TV-Information, TV-Programm, Radio und Digital zu installieren. Das hat es überhaupt noch nie gegeben, das wäre unglaublich mutig. Weiterzumachen wie bisher, hielte ich für fatal. Der ORF ist knapp daran, seine Glaubwürdigkeit zu verspielen." (APA, 20.7.2016)