Die Polizei sucht einen der Tatorte ab, wo ein 17-jähriger Afghane – nachdem er in einem Zug und dann auf einer Wiese mehrere Menschen attackiert hatte – erschossen wurde.

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Große islamistische Terroranschläge mit vielen Toten gab es in Deutschland bisher nicht, doch das relative Gefühl der Sicherheit wurde in der Nacht zum Dienstag auf die Probe gestellt: Ein junger Flüchtling aus Afghanistan attackierte mit Axt und Messer eine Touristenfamilie sowie eine Spaziergängerin in der Nähe der bayerischen Stadt Würzburg. Fünf Personen wurden schwer verletzt.

Der 17-Jährige hatte die Reisenden aus Hongkong in einem Regionalzug offenbar zufällig ausgewählt. Nach der Attacke floh er aus dem angehaltenen Zug, attackierte eine Spaziergängerin und versuchte zu entkommen, doch eine Sondereinheit der Polizei, die wegen eines anderen Einsatzes in der Nähe war, stellte ihn. Bei der Polizeiaktion wurde er schließlich erschossen. Zwei seiner Opfer schwebten am Dienstagnachmittag noch in Lebensgefahr.

Vor einem Jahr war der Afghane nach Deutschland gekommen – einer von rund 70.000 sogenannten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die sich ohne Eltern oder Verwandte durchschlugen. Er war als Asylwerber registriert, lebte zunächst in einem Wohnheim, seit rund zwei Wochen dann in einer Pflegefamilie bei Würzburg.

Abschiedsbrief gefunden

Wie die Staatsanwaltschaft Bamberg am Dienstagnachmittag in einer Pressekonferenz erklärte, sei im Zimmer des 17-Jährigen ein Abschiedsbrief gefunden worden – dies lasse auf eine "unbedingte Tötungsabsicht" schließen. Als ein mögliches Motiv für den Angriff könne die Nachricht des Todes eines Freundes des jungen Mannes in Afghanistan gelten. Zwar sprach die Staatsanwaltschaft von einer Tat mit religiösem Motiv – so habe der Täter mehrmals während des Angriffs "Allah ist groß" ausgerufen –, doch von einem Terrorakt war, zumindest vorerst, nicht explizit die Rede.

Dienstagnachmittag machte in sozialen Medien auch ein Zwei-Minuten-Video die Runde, das den Jugendlichen – er wird darin Muhammad Riyad genannt – zeigt: Er hantiert er mit einem Messer und spricht Drohungen gegen "ungläubige" Länder aus. In paschtunischer Sprache kündigt er eine "Operation" in Deutschland an und bezeichnet sich selbst als "Soldat des Kalifats".

Am Abend erklärten das bayerische Innenministerium, das Video sei echt. Auch Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen geht von einem islamistischen Hintergrund aus. Es sprächen viele Indizien für einen islamistischen Anschlag,

Leute, die den Jugendlichen kannten, beschrieben ihn als "ruhig und ausgeglichen". Er sei nicht besonders religiös gewesen. Eine etwaige islamistische Radikalisierung hat sich möglicherweise schnell und im Verborgenen vollzogen.

IS beansprucht Tat für sich

Zwar beanspruchte die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) die Urheberschaft für den Anschlag für sich, doch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann zog diese Version anfangs noch in Zweifel: Bei der Durchsuchung habe man keine Hinweise auf Kontakte zum IS gefunden – allerdings wurde eine IS-Flagge gefunden.

Oberstaatsanwalt Erik Ohlenschlager relativierte Herrmanns Aussage am Nachmittag, indem er dem 17-Jährigen "politische Motive" vorwarf.

Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, forderte mehr Videoüberwachung an Bahnhöfen, sagte aber auch: "Zu glauben, wir könnten überall, vor jedem Bahnhofsabteil und überall auf den Bahnhöfen und Flughäfen mit so viel Personal präsent sein, dass wir bewaffnete Angriffe von radikalisierten Einzeltätern verhindern können, das ist Utopie."

Im Verfassungsschutzbericht für 2015 beschreibt das Bundesinnenministerium eine "grundsätzlich erhöhte Gefährdung in Deutschland". Eine Ursache sei die Beteiligung Deutschlands am Kampf gegen den IS. Außerdem erhöhe die Zuwanderung, bei der im vergangenen Jahr rund eine Million Menschen nach Deutschland zog, das Reservoir, aus dem Terroristen schöpfen könnten. Mittlerweile seien auch etwa 70 radikale Islamisten zurückgekehrt, die in Syrien gekämpft hätten. (Hannes Koch aus Berlin, 19.7.2016)