München – Deutsche Wissenschafter haben ein Molekül entdeckt, das im Gehirn steuert, ob jemand gerade offen für neue soziale Kontakte ist– oder lieber in der Sicherheit seines bestehenden sozialen Umfelds verharrt. Die Forscher am Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie identifizierten die Substanz, die als eine Art "sozialer Schalter" agiert, im Stresssystem von Mäusen.

Um herauszufinden, wie Mäuse sich im Kontakt mit Artgenossen verhalten, installierten die Wissenschafter für ihre Studie zwei verschiedene Versuchsaufbauten. Im "sozialen Labyrinth" konnten Mäuse wählen, ob sie durch einen Maschendraht Kontakt mit vertrauten oder fremden Mäusen aufnehmen oder ob sie Kontakt generell vermeiden.

Mäuse unter Videoüberwachung

Im anderen Versuchsaufbau konnten die Mäuse sich frei in der Gruppe bewegen. Ihre Bewegungen wurden dabei durch Videokameras mit einem eigens dafür programmierten Computerprogramm aufgezeichnet und analysiert. Dieser experimentelle Anordnung ermöglichte es, die Mäuse der zweiten Gruppe über mehrere Tage bei verschiedenen Arten sozialer Interaktion wie Annäherung, Kontakt, Angriff oder Verfolgung kontinuierlich zu beobachten.

Der Vergleich der Beobachtungsdaten mit den Ergebnissen von Blutuntersuchungen zeigte, dass ein molekularer Mechanismus im Gehirn der Mäuse, der an der Stressregulation beteiligt ist, auch das Verhalten von Mäusen gegenüber Artgenossen bestimmt.

Ein Signale übermittelndes Molekül, das Urocortin-3, und ein Rezeptor auf der Oberfläche von Nervenzellen, an den das Molekül bindet, sind Teil dieses Mechanismus. Beide sind wiederum Teile des Corticotropin-ausschüttenden Faktors beziehungsweise des sogenannten CRF-Systems, das beim Umgang mit Stress eine zentrale Rolle spielt. Beide kommen überwiegend in der Gehirnregion der mittleren Amygdala vor, die mit sozialem Verhalten von Mäusen in Zusammenhang gebracht wird.

Mäuse, die hohe Urocortin-Spiegel im Blut aufwiesen, suchten aktiv den Kontakt zu Mäusen, die sie nicht kannten. Dabei ignorierten sie sogar ihre eigene Gruppe. Wenn die Aktivität des Urocortin-3 aber unterbunden wurde, hatten die Mäuse fast nur Sozialkontakte innerhalb ihrer eigenen Gruppe und vermieden Kontakte mit unbekannten Tieren.

Vergleichbare Systeme beim Menschen

Die Wissenschafter weisen im Fachmagazin "Nature Neuroscience" darauf hin, dass Menschen Stress im Gehirn mithilfe eines ähnlichen Systems verarbeiteten. "Die meisten unserer sozialen Kontakte bedeuten auch ein gewisses Maß an Stress, selbst wenn wir Menschen treffen, die wir gut kennen", sagte Yair Shemesh von der Forschergruppe. "Denken Sie nur an Familienfeste."

Störungen in dem Mechanismus können nach Ansicht der Forscher verantwortlich für Schwierigkeiten im Sozialverhalten bei Patienten sein, die an Angststörungen, Autismus oder ähnlichen Erkrankungen leiden. (red, 20.7.2016)